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Streuobstwiesen: „Zukunft nur mit Nutzung und Pflege“

Mit bis zu 5.000 Arten sind sie wahre Biodiversitäts-Hotspots; im Frühjahr prägt ein Blütenmeer unser Landschaftsbild und ein Teil der Ernte fließt in die Herstellung des beliebten Hessischen Apfelweins – klar, die Rede ist von Streuobstwiesen.

Streuobstwiese: strukturreicher Lebensraum

Heute, am 30. April 2021, wird europaweit erstmals der „Tag der Streuobstwiesen“ begangen, der in Deutschland besondere Bedeutung genießt, denn seit wenigen Wochen gehört der Streuobstanbau zum bundesweiten immateriellen Kulturerbe. Damit dieses besondere Kulturgut erhalten bleibt, braucht es – neben der öffentlichen Wertschätzung – ausreichend Pflege und einen grünen Daumen, den die Hessische Gartenakademie (HGA) mit Seminaren und einem Gartentelefon bietet.

Biodiversitätshotspot & Arche Noah

Streuobstwiesen sind heutzutage Sinnbild einer traditionellen, teils auch romantisierten, Art des Obstanbaus: Verschiedene Arten Obst, meist großkronige Hochstämme, stehen in unregelmäßigen Abständen auf einer artenreichen Wiese, die extensiv bewirtschaftet wird, in der sich unzählige Insektenarten, viele bedrohte Vogelarten und kleine Säugetiere tummeln. Eine weitere Besonderheit ist die Sortenvielfalt: Bei den Obstbäumen handelt es sich meist um alte, speziell für die Region gezüchtete, also angepasste lokale Sorten, sodass Streuobstwiesen gern auch als „Arche Noah“ für Obstsorten bezeichnet werden. Doch leider verschwinden immer mehr dieser Biodiversitäts-Hotspots.

Die Ursprünge ihrer Entstehung reichen bis in die Antike zurück. In Deutschland erlebten sie ihre Hochzeit im 19. und 20. Jahrhundert, trugen bis in die 1950er Jahre hinein maßgeblich zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung bei und wurden intensiv gehegt und gepflegt. Durch die Züchtungserfolge im Niedrigstammsegment wurden die traditionellen Obstwiesen wirtschaftlich unattraktiv und durch moderne Obstbauplantagen verdrängt. Laut Schätzungen des NABU ist die Fläche der Streuobstbestände in Deutschland seit 1950 um 80 %, auf ca. 250.000 bis 300.000 ha, geschrumpft.
Wegen ihrer Siedlungsnähe fallen sie außerdem häufig Bauvorhaben zum Opfer oder sie verfallen schlichtweg, denn „Streuobstwiesen sind Kulturlandschaften, die nur eine Zukunft haben, wenn die Wiesen und Hochstämme auch genutzt und gepflegt werden“, erklärt Beate Reichhold-Appel, Leiterin der HGA beim Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH).

Streuobstwiesenbestand auch in Hessen stark rückläufig

Hessenweit gibt es noch auf rund 11.718 ha Fläche Streuobstwiesenbestände1 (Stand 2010). Dabei sind deutliche regionale Tendenzen festzustellen: 81 % der traditionellen Obstwiesen befinden sich in Südhessen (vorrangig im Wetteraukreis, Landkreis Bergstraße und Main-Kinzig-Kreis). In Mittelhessen liegen rund 11 % (vor allem im Landkreis Gießen); in Nordhessen – hier sei der Werra-Meißner-Kreis erwähnt – sind circa 9 % der hessenweiten Bestände zu finden. In aktuellen Erhebungen der JLU konnte exemplarisch für den Landkreis Gießen ein Rückgang um 70 % innerhalb eines halben Jahrhunderts festgestellt werden2 (Stand 2010).
Ein Projekt der JLU entwickelt seit letztem Jahr ein fernerkundungsbasiertes Monitoringverfahren, das eine quantitative aber auch qualitative Erfassung der hessischen Streuobstwiesen ermöglichen soll.

Trockenheit setzt Streuobstbeständen zu

„Entscheidend ist nicht nur die Anzahl der Hochstammbäume, hessenweit sind es mittlerweile weit weniger als eine Million, sondern ganz maßgeblich auch deren Zustand. So ist z.B. ein regelmäßiger Baumschnitt notwendig. Beweidung oder Mahd beugen einer Verbuschung vor. Auch Nachpflanzungen sind von Zeit zu Zeit erforderlich. In den ersten Jahren brauchen die Jungbäume dann besonders viel Pflege. Sie müssen, mit Blick auf die Trockenheit der letzten Jahre, gewässert und die Baumscheiben von Konkurrenzgräsern bzw. -kräutern freigehalten werden,“ erläutert Reichhold-Appel. Gerade die letzten trockenen Jahre haben den Streuobstwiesen zugesetzt, insbesondere in Südhessen. „Und geschwächte Bäume sind anfällig für Krankheiten und Schädlinge. So wurden seit diesem Jahr in einigen Landkreisen vermehrt und auch flächendeckend Schäden durch den Schwarzen Rindenbrand und den Ungleichen Holzbohrer, eine Borkenkäferart, in Streuobstbeständen festgestellt.“

Erlebt die Streuobstwiese eine Renaissance?

Mittlerweile sind Streuobstwiesen auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands als „stark gefährdet“ eingestuft und in Hessen unterliegen sie dem gesetzlichen Schutz (§13 Abs. 1 Nr. 2 des Hessischen Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz (HAGBNatSchG)). Mit dem Hessischen Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflege-Maßnahmen (HALM) möchte das Land die Pflege von Streuobstbeständen und den Erhalt z.B. durch Nachpflanzungen fördern.

„Das öffentliche Interesse an Streuobstwiesen nimmt wieder zu, die Nachfrage nach Hochstamm-Schnitt- und Pflegekursen steigt merklich“, freut sich Reichhold-Appel. „Es braucht auch immer wieder Aktionstage, damit die Bedeutung von Streuobstwiesen sowie das Engagement der Streuobstaktiven wertgeschätzt werden. Unser Apfelweinseminar – dieses Jahr am 29. Mai – bietet eine solche Gelegenheit“, schließt sie.

Hätten Sie’s gewusst? Streuobstwiesen gibt es schon seit Jahrhunderten, der Begriff „Streuobstwiese“ ist noch recht jung. Er stammt aus dem Jahr 1975, als die Naturschutzaspekte dieses Biotoptyps erkannt wurden.

Weitere Informationen

  • Ihre Fragen zur Pflanzengesundheit und ~Pflege können Sie gern an das Gartentelefon der HGA richten (Tel.: 0561 7299377).
  • Auf der Website „Biodiversität in Hessen“ erfahren Sie noch mehr über Streuobstwiesen in Hessen und wie Sie als Landbewirtschaftende, Privatperson oder Schule dieses alte Kulturgut – und mit ihm die biologische Vielfalt – schützen und fördern können.
  • Website des Vereins „Hochstamm Deutschland“

1: Analyse der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), basierend auf einer Luftbildinterpretation des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG), Kartierung 2008 – 2010.
2: Vergleich historischer Luftbildaufnahmen von 1952 – 1967 des Hessischen Landesamts für Bodenmanagement und Geoinformation (HLBG) mit der Kartierung des HLNUG von 2008 – 2010.

Wir danken Dr. André Große-Stoltenberg von der Justus-Liebig-University Gießen (JLU) für die Bereitstellung der Daten zu den hessischen Streuobstwiesenbeständen.


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