- Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen - https://llh.hessen.de -

Gefährdete Schätze: Stauden- und Gehölzsorten von anno dazumal

Spätestens seit den 1970er Jahren hat sich in unseren Gärten ein Trend zu „Nichtgärten“ oder „Ungärten“ manifestiert. Der deutsche Dokumentarfilmer Dieter Wieland hat sich zu dieser frühen Stunde immer wieder dem Thema angenommen.

Heute – über 40 Jahre später – sind seine Filme (Mediathek des BR) immer noch aktuell, wenn man sieht, dass der monotone Blaufichten-Koniferen-Garten mittlerweile vom noch monotoneren Schottergarten abgelöst wurde.

Als Bildungseinrichtung hat sich die Hessische Gartenakademie (HGA) die Themen Gartenkultur und Artenvielfalt im Garten in mehrerlei Hinsicht auf die Fahnen geschrieben. In unseren Seminaren informieren wir über alte und seltene Gemüse- und Obstarten und ~sorten. Wir sensibilisieren zum Thema Biodiversität und geben praktische Tipps und Hinweise, wie Haus- und Kleingärten ebenso wie (Streu)Obstwiesen oder kommunales Grün im Sinne der Nachhaltigkeit bunter und vielfältiger werden können.

Der 22. Mai ist der Internationale Tag zur Erhaltung der Artenvielfalt – Anlass für die HGA auf den zunehmenden Verlust alter Stauden- und Gehölzzüchtungen und die Sortenverarmung in unseren Gärten aufmerksam zu machen und was wir dagegen tun können.

Ein historischer Abriss: Wie sahen Gärten vor rund 100 Jahren aus?

Wenngleich die meisten Gartenfotos aus dieser Zeit schwarzweiß vorliegen, lässt ein Blick in alte Gartenkataloge von Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts erahnen: In alten Gärten ging es offenbar ziemlich bunt zu. Zur Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts zogen, ausgehend von England, in die bürgerlichen Gärten Europas zunehmend Pflanzen ein, deren Besitz bis dato nur der wohlhabenden Oberschicht vorbehalten war: Winterharte Gartenpflanzen aus den subtropisch-kontinentalen, den gemäßigten, sowie den alpinen und subpolaren Zonen ferner Länder und Kontinente. Zwar waren bis dato bereits immer wieder Kräuter, Gewürz- und Nutzpflanzen sowie Obst- und Gemüsearten aus dem mediterranen Raum zunächst durch die Römer und später über die alten Handelswege aus dem vorder- und mittelasiatischen Bereich zu uns gelangt, doch war dies kein Vergleich zu der Menge an Pflanzenarten, die im Zeitalter der europäischen Expansion und unmittelbar danach aus aller Welt nach Europa gebracht wurden.

Pflanzenjäger und ~entdecker

Organisiert wurden die meisten britischen Expeditionen zumeist im königlichem Auftrag durch neu entstandene gartenbauliche Vereinigungen, z. B. der Royal Horticultural Society. Durch die Kommerzialisierung der Pflanzenentdeckungen entstand im 19. Jahrhundert sogar ein eigenes Berufsbild, der Pflanzenjäger (aus dem Englischen ‚plant hunter‘) – mit vor allem einer Schattenseite: Der europäische Hunger nach Pflanzen aus fernen Ländern gefährdete dort die natürlichen Bestände bis hin zur Ausrottung.

[Eine andere in diesem Zusammenhang einer „Schattenseite“ oft getätigte Aussage, dass die neu eingeführten Gartenpflanzen die heimische Flora verdrängt hätten, ist sehr stark zu relativieren. Zwar schafften es tatsächlich 400 – 500 Pflanzensippen, hierzulande in der Natur Fuß zu fassen, doch verhalten sich davon nur etwa 40 Arten in bestimmten Lebensräumen invasiv, d. h. die natürliche Vegetation verdrängend.]

In Europa wurden die Pflanzen in Botanischen Gärten gepflegt und erforscht und hielten, je nach Eignung, über Gärtnereien anschließend zunächst Einzug in Parks und Gärten privilegierter Schichten und wurden spätestens Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts auch für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich.

Exotische Pflanzen bereichern unsere Gärten

Pfingstrose
Dachwurz

Währenddessen herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung im Bereich der Architektur und der Gartenkunst, die sich einerseits in einer reformierten Gartengestaltung mit funktional-architektonischen Räumen, Plattenwegen- und Flächen, Natursteinmäucherchen und vor allem vielfältigen Staudenrabatten, andererseits in einer intensiven Stauden-, Rosen- und Gehölzzüchtungsarbeit widerspiegelte.

Ein Blick in alte Gartenkataloge von Anfang 1900 bis in die 1980er Jahre hinein offenbart: In den, auch deutschlandweit gut verteilten, Großgärtnereien und Baumschulen waren Standardsortimente mit mehr als 1000 bis 2000 Arten, Varietäten und Sorten keine Seltenheit. Auch in Hessen gab es solche Gärtnereien mit derartigen Sortimenten und eigener Züchtungsarbeit, wie z. B. Goos & Koenemann in Walluf (Iris-Züchtungen), Kayser & Seibert in Roßdorf (Dachwurz-, Rittersporn und diverse andere Züchtungen) oder die Gärtnerei Klose in Lohfelden (insbesondere Funkien-, Pfingstrosen- und Ritterspornzüchtungen).

Das große Gärtnereien- und Sortensterben

Um ein solches Sortiment sortenecht für den Kunden bereit stellen zu können, braucht es – neben engagierten, sorgfältigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften – große Flächen für Container- und Mutterpflanzenquartiere. Und es bedarf vor allem einer gartenaffinen, kundigen und sammelfreudigen Kundschaft. Im Zuge der Tatsache, dass Gärten immer kleiner und andere Freizeitbeschäftigungen attraktiver wurden und zudem ein Standardsortiment an Gartenpflanzen auch – und dazu noch günstiger – im Baumarkt erworben werden konnte, verschwand zunehmend der gärtnerische Zeitgeist des 20. Jahrhunderts gleichzeitig mit dessen Ausklang. Mit ihm gingen die meisten gut sortierten Gärtnereien, das versierte Gärtnerpersonal und letztlich auch ein großer Teil der Züchtungsarbeit des 19. und 20. Jahrhunderts verloren.

Netzwerk „Pflanzensammlungen“ will Züchtungsarbeit bewahren

Diesem drohenden Verlust des Erbes und Kulturgutes Pflanze nahm sich die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 e. V. (DGG) an und setzte 2009 mit dem Symposium „Netzwerk Pflanzensammlungen – Sichten, Pflegen, Bewahren“ in Erfurt ein erstes Zeichen für Erhaltungsstrategien für private Pflanzensammlungen in Deutschland. So macht es sich das „Netzwerk Pflanzensammlungen“ zur Aufgabe, Zierpflanzensammlungen in Deutschland ausfindig zu machen, die Vielfalt der genetischen Ressourcen zu dokumentieren und dauerhaft auch für zukünftige Generationen zu sichern. Im Falle der Gefährdung einer Pflanzensammlung durch Tod oder Aufgabe des Sammlers wird innerhalb des Netzwerkes die Suche nach Patenschaften unterstützt, um die Sammlung dauerhaft zu bewahren.

Seit dem 1. Juni 2017 wird das Netzwerk durch das Bundessortenamt weitergeführt. Die DGG wirkt weiterhin unterstützend mit. Mehr als 370 Pflanzensammler sind auf der Website des Netzwerks registriert und über 160 Sammlungen mit mehr als 46000 Akzessionen werden dokumentiert. 83 unterstützende Partner sind in der Deutschen Genbank „Zierpflanzen“ aktiv.

Interessiert? Bewusst Gartenpflanzen kaufen

Konnten wir Ihr Interesse am Sammeln und Bewahren alter Pflanzenzüchtungen wecken? Dann informieren Sie sich auf der Website „Netzwerk Pflanzensammlungen“.

Es gibt sie auch noch vereinzelt, die gut sortierten Baumschulen, Rosenbaumschulen und Staudengärtnereien, in denen Sie die alten Schätze – aber auch neuere Züchtungen erhalten.
Ihre Hinweise zu Betrieben in Hessen nehmen wir gerne entgegen bzw. versuchen gerne, Ihnen bei der Suche solcher Betriebe behilflich zu sein.

Möchten Sie einen Blick in alte Gartenkataloge und ihre faszinierenden Pflanzensortimente werfen? Dann schauen Sie in die einzigartige historische Katalogsammlung, die European Nursery Catalogue Collection.

Konnten wir Sie für die Abenteuer von Pflanzensammlern begeistern? Hier finden Sie entsprechende Literatur:

Hintergrund: 22. Mai – Internationaler Tag zur Erhaltung der Artenvielfalt

Der 22. Mai wird seit dem Jahr 2001 als Internationaler Tag der biologischen Vielfalt gefeiert. Er erinnert an den Tag, an dem der ab November 1988 erarbeitete Text des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) auf einer eigens einberaumten UNEP-Konferenz im Mai 1992 offiziell angenommen wurde, um anschließend ab dem 5. Juni während der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro unterzeichnet werden zu können.

Dieses Übereinkommen über die biologische Vielfalt gehört neben dem Klimarahmenabkommen (UNFCCC) und der Wüstenkonvention (UNCCD) zu den drei völkerrechtlichen Verträgen, die bei Rio-Konferenz zur Unterzeichnung auslagen. Deutschland ist seit ihrem In-Kraft-Treten am 29. Dezember 1993 von Beginn an Vertragspartei der CBD. Die Federführung für das Übereinkommen über die biologische Vielfalt innerhalb der Bundesregierung liegt beim Bundesumweltministerium (BMU).

Mit seinen derzeit mehr als 190 Vertragsparteien ist die Konvention das umfassendste verbindliche internationale Abkommen im Bereich Naturschutz und nachhaltige Nutzung der natürlichen genetischen Ressourcen.

[1] Eine andere in diesem Zusammenhang einer „Schattenseite“ oft getätigte Aussage, dass die neu eingeführten Gartenpflanzen die heimische Flora verdrängt hätten, ist sehr stark zu relativieren. Zwar schafften es tatsächlich 400 – 500 Pflanzensippen, hierzulande in der Natur Fuß zu fassen, doch verhalten sich davon nur etwa 40 Arten in bestimmten Lebensräumen invasiv, d. h. die natürliche Vegetation verdrängend.