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Die Weidehaltung im Fokus

Zu den ersten Deutschen Weidetagen hatte Anfang Juli das Grünlandzentrum Niedersachsen neben anderen Veranstaltern nach Norddeutschland eingeladen. Das Tagungszelt stand auf einer Kurzrasenweide mit Blick auf die in der Nachbarfläche weidenden Milchkühe. Angela Mögel vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen war dabei und berichtet.

Besser konnte der Tagungsort für das Thema Weide nicht gewählt sein, als auf einer Grünlandfläche im Wesermarschgebiet in der Nähe von Bremen. Und obwohl in dieser Region ausschließlich Grünlandnutzung infrage kommt, ist die Weidehaltung auch im milchviehstarken Bundesland Niedersachsen in den letzten zwei Jahrzehnten rückläufig. Diesen Trend besprach auch Heinrich Daseking vom niedersächsischen Landwirtschaftsministerium. Um die Weidehaltung zu fördern, wird es ab 2023 vom Land Niedersachsen eine Weidetierprämie für Milchviehhalter geben. Pro Milchkuh beträgt diese 75 Euro. Vorausgesetzt wird ein Weidegang von 120 Tagen à sechs Stunden am Tag mit mindestens 1 000 m² Weidefläche pro Kuh. Diese drei Angaben zu den Weidetagen, den -stunde und der -fläche findet man auch auf vielen Milchverpackungen, die mit Weidemilch werben. Anders als die „Biomilch“ ist der Begriff der Weidemilch jedoch nicht rechtlich geschützt und es gibt keine dahinterstehende Definition der Produktionsweise. Als Konsequenz dieser fehlenden rechtlichen Einordnung existieren verschiedene Label und Gütezeichen im Handel und führen zur Verwirrung der Verbraucher.

Weidemilch im Lebensmitteleinzelhandel

Dass die Weidemilch bei den Konsumenten beliebt ist, bestätigte Jutta Jaksche vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Die Weidehaltung wird vom Großteil der Bevölkerung als Kulturgut empfunden und mit einer artgerechten Haltung verbunden. Die Verbraucherzentralen sehen es jedoch kritisch, dass auf manchen Milchpackungen konventionell und in Stallhaltung produzierter Milch Weidegang optisch suggeriert wird. Das täuscht die Verbraucher. In der Vergangenheit wurden nur 20 Prozent der mit Weidegang erzeugten Milch auch als solche mit einem höheren Preis vermarktet. Die Wertschöpfung ist damit noch nicht ausgeschöpft. Darüber sprach Maxi Thinius, Aldi Nord. „Eigentlich ist Weidemilch die Erfolgsstory schlechthin“, so die studierte Agrarwissenschaftlerin. 2016 führte Aldi die Weidemilch für 0,59 Euro/l als Handelsmarke ein. 2022 wurde das Sortiment auf eine weitere Fettstufe erweitert und mit 1,45 Euro/l verkauft. In Norddeutschland ist jede verkaufte elfte Frischmilch eine Weidemilch. In den letzten zwei Jahren testete Aldi weitere Weideprodukte, wie Joghurt oder Butter aus Weidemilch im Verkauf. Dieser Absatz lief stockend. Kunden kauften bevorzugt Bio- oder Markenprodukte. Bis 2030 soll die gesamte Frischmilch bei Aldi aus Haltungsstufe 3 und 4 kommen. Noch in diesem Jahr soll Frischmilch nur noch aus deutscher Erzeugung verkauft werden, bei H-Milch ab 2024.

Weidemilch in den Niederlanden

In den Niederlanden habe die Weidemilchproduktion eine andere Entwicklung genommen, so Dr. Agnes van den Pol-van Dasselaar von der niederländischen Aeres University of Applied Sciences. So hatten beispielsweise 45 Prozent der Kühe in Beständen über 200 Milchkühen 2021 Weidegang. Die gesamte als Frischmilch in den Niederlanden verkaufte Milch stammt von Kühen mit Weidegang. Bei Quark und Jogurt beträgt der Anteil 80 Prozent. Gründe für diese Situation sind neben den überwiegend guten Weidestandorten ein Zusammenschluss von 80 Organisationen aus Landwirtschaft, Handel, Regierung und Molkereien. Diese einigten sich auf die Erzeugungsweise und Honorierung der Milch. Zudem steht in Ausbildung und Beratung der Fokus auf Milcherzeugung aus Weidegras. Die Weide wird als nationales Gut gesehen, was Marketingmaßnahmen unterstützen. Die Produkte finden Absatz im in- und ausländischen Markt. Aktuell wird die Weidehaltung von Seiten der Regierung allerdings aus Emissionsschutzgründen auch immer häufiger in Frage gestellt. Teilweise benötigen die Tierhalter Sondergenehmigungen, damit sie ihre Tiere weiden lassen dürfen (siehe LW-Beitrag www.lw-heute.de/niederlaendische-bauern-wuetend-verzweifelt).

Mit Weide Geld verdienen

Ein verbreiteter Mythos besteht in der Ansicht, dass die Weidehaltung gegenüber der Stallhaltung und Fütterung auf hohe Einzeltierleistung nicht konkurrenzfähig ist. Ein Landwirt zeigte anhand seiner betriebswirtschaftlichen Daten das Gegenteil. Voraussetzung dabei ist das Vorhandensein von stallnahen Weideflächen. Die Erzeugungskosten der Grassilage liegen bei diesem Weidebetrieb bei 19 ct/ kg Trockensubstanz (TS). Dazu kommen 2 Cent für die Futtervorlage und 1 ct/kg TS für die Grundfutterlagerung. Das Weidefutter kostet mit Pacht, Düngung, Zäunung, Tränken und Triebwegen 8 Cent/kg TS. Damit spart der Betrieb 11 Cent/kg TS, wenn er den Aufwuchs auf der Fläche abweidet, statt ins Silo zu fahren. Diese Berechnung berücksichtigt noch nicht die um ein vielfach höheren Trockenmasse-/Energie- und Eiweißverluste der Silagebereitung und -fütterung.

Weidehaltung spart Arbeitszeit

Michael Sutter von der Fachhochschule Bern zeigte, wie arbeitssparend ein Vollweidesystem in Kombination mit saisonaler Abkalbung sein kann. Der Hochschullehrer, welcher selbst 60 Milchkühe in diesem System hält, erklärte die größten Kostenblöcke der Milcherzeugung: Nach den Futterkosten stellen die Kosten der Arbeitserledigung den größten Anteil. „Die Kuh ist die Automatisierung. Sie macht alles selbst auf der Weide, wie Fütterung und Gülleausbringung. Das kann genutzt werden.“ Der Milchviehhalter managt dabei das Umfeld. Dort entstehen die Kosten. Es entstehen jedoch doppelte Kosten/Arbeitszeit, wenn Stall- und Weidefütterung parallel erfolgen. Erst durch Maximierung des Weidefutteranteils sinken die anteiligen Weidekosten. Deshalb sei die saisonale Abkalbung und Vollweide ohne Stallzu­fütterung ein System, welches effektiv Arbeitszeit spart. Mit der saisonalen Frühjahrsabkalbung sind 6 000 bis 7 000 kg Milch pro Kuh zu erreichen. Liegt der Abkalbeschwerpunkt im Herbst/Winter sind Laktationsleistungen von 7 000 bis 8 500 kg realistisch. Dabei wird die Laktationsspitze im Winterhalbjahr mit einer angepassten Stallration ermolken. Während der Vegetationszeit fressen die Kühe den kostengünstigen Weideaufwuchs. „Weidemanagement ist am einfachsten, wenn die Kuh und der Landwirt wissen, dass es nur Gras gibt“, so der Schweizer Fachmann. Die Berechnung der Klimabelastung der Milcherzeugung erfolgt in CO2-Äquvivalent je kg energiekorrigierte Milch. Die Ammoniak- (Güllelagerung, -ausbringung) und Methanemission (Verdauung) sind dabei berücksichtigt. In dem Zusammenhang wird die Weidehaltung oft mit schwankendem Futterangebot, niedrigen Energiegehalten und einer geringen Flächenproduktivität in Verbindung gebracht. Dass das nicht sein muss, zeigt eine Untersuchung auf dem Versuchsbetrieb Lindhof der Universität Kiel. Deren CO2-Fußabdruck beträgt mit saisonaler Abkalbung und Vollweide (Portionsweide) nur 55 Prozent (630 g CO2 e/ kg ECM) der durchschnittlichen Werte der Milcherzeugung aus Stallhaltung. Diese liegen bei 1,05 bis 1,15 kg CO2 e/kg ECM. Methanmessungen an der Kuh gehörten zur Untersuchung. Die Weidehaltung bietet großes Potenzial zur Energieeinsparung bei Futterbergung und Wirtschaftsdüngerausbringung.

Futterverluste auf der Weide geringer als bei Stallfütterung

Durch ein optimales Management verringern sich die Weideverluste auf 5 bis maximal 10 Prozent. Dem stehen 20 bis 35 Prozent Verluste bei Silagefütterung entgegen. Die Energiegehalte können ganzjährig je nach Weideform 6,6 bis 7,1 MJ NEL/kg TS betragen. Beide Faktoren führen zu freiwerdenden Futter- und Ackerflächen für die Nahrungsmittelproduktion. Während der Vegetationsphase entsteht außerdem weniger Gülle, damit entfallen Emissionen der Lagerung und Ausbringung.