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Von der Kinderstube auf die Terrasse: Der lange Weg der Heidepflanzen

Mit den ersten Nachtfrösten erfrieren Beet- und Balkonpflanzen, die den Sommer über prächtig geblüht haben. Wie gut, dass es für den Herbst und Winter robuste und blühende Pflanzen gibt, die dafür sorgen, dass die dunkle Jahreszeit nicht so trostlos wirkt.

Calluna vulgaris, die Nr. 1 der Beet- und Balkonpflanzen

Die Nr. 1 der Herbstblüher ist in Deutschland die Besenheide Calluna vulgaris. Sie führt die Top 10-Liste aller Beet- und Balkonpflanzen mit einem monetären Marktanteil von 12 %, noch vor den Geranien mit einem Marktanteil von 8 %, an (Quelle: AMI MARKT Report 2020). Sie ist eine der Hauptkulturen im Zierpflanzenbau. Bis Ende der 90er-Jahre war die Glockenheide Erica gracilis die alles dominierende Heidepflanze, bis sie von der Besenheide abgelöst und fast vollständig verdrängt wurde. Callunen sind winterhart, sehr pflegeleicht und viele neue Sorten blühen bis fast ins Frühjahr. Die aus Süd-Afrika stammende Glockenheide ist dagegen nicht winterhart. Sie verträgt nur wenige Minusgrade. In milden Wintern wie 2021/2022 blüht aber auch sie sehr langanhaltend in leuchtenden Farben. Aktuell gibt es neue Erica gracilis-Sorten, die sogenannten HEIDI´S, welche etwas robuster sind und neuen Schwung ins Sortiment bringen.

Knospenblüher-Sorten mit langer Blütezeit

Durch Mutationen, so nennt man sprunghaft auftretende genetische Veränderungen, entstanden aus offen blühenden Callunen die „Knospenblüher“. Deren Blütenknospen öffnen sich nicht und weisen dadurch eine sehr lange Blühdauer auf. Zusätzlich haben Züchter Sorten ausgelesen, deren Blühzeiträume variieren. Man unterscheidet früh, mittelfrüh und spät blühende Sorten. Außerdem gewinnen Sorten, welche allein aufgrund ihrer gelben, orangen oder grauen Laubfarbe ein Blickfang sind, an Bedeutung. Das Sortiment besteht überwiegend aus Sorten der Gardengirls® und Beauty Ladies®. Ein Nachteil der Knospenblüher darf nicht verschwiegen werden: Sie sind für Bestäuberinsekten nutzlos, da die Blüten geschlossen bleiben und es deshalb dort nichts zu holen gibt.

Insektenfreundliche Heidepflanzen

Insektenfreundlich sind dagegen einfach blühende Calluna-Sorten, die allerdings recht schnell verblühen. Auch die Glockenheide Erica gracilis oder die im Spätwinter blühenden Schneeheide Erica carnea und Englische Heide Erica x darleyensis werden von Bestäubern angeflogen, da sie alle reich an Nektar sind. Wer einmal die Gelegenheit hat durch einen blühenden Glockenheide-Bestand zu gehen, wird begeistert sein vom Summen und Brummen der vielen Bienen und anderen Insekten.

Besondere Ansprüche von Heidepflanzen

An ihrem natürlichen Standort gedeihen Heidepflanzen auf einem sauren und nährstoffarmen sandigen oder torfhaltigen Boden in sonniger Lage. In normalem lehm- und kalkhaltigen Gartenboden tut sich die Heide schwer. Deshalb werden Heidepflanzen in den Gärtnereien in einem sauren (niedriger pH-Wert) Torfsubstrat kultiviert. Sie sind sehr salzempfindlich und werden mit salzarmem Wasser mit geringer Karbonathärte gegossen. Gärtnereien mit Moorbeetpflanzen, zu denen neben Callunen und Eriken-Arten auch Azaleen, Kamelien und die Niedere Scheinbeere Gaultheria procumbens zählen, haben sich deshalb möglichst an Standorten angesiedelt, an denen geeignetes Brunnenwasser vorhanden ist. Zusätzlich wird von den Gewächshausdächern gesammeltes Regenwasser verwendet.

Ein langer Weg bis zur verkaufsfähigen Pflanze

Von ausgewählten Mutterpflanzen werden von Dezember bis Februar 2 bis 4 cm lange Stecklinge geerntet und in ein ungedüngtes Vermehrungssubstrat aus Weißtorf in Stecklingsplatten gesteckt und in Folienzelten bei ca. 18 oC und hoher Luftfeuchte zur Bewurzelung gebracht. Nach der Wurzelbildung beginnt die Abhärtung der Stecklinge an niedrigere Temperatur. Damit sich die Pflanzen verzweigen, werden sie mehrmals gestutzt. Spätestens wenn die Stecklingsplatten dicht zugewachsen sind, pikiert man die Pflanzen in Pikierplatten und kultiviert sie im Gewächshaus weiter. Das Topfen der Jungpflanzen in den Endtopf geschieht im Herbst oder im darauffolgenden Frühjahr. Die Überwinterung erfolgt Topf an Topf und frostfrei im Gewächshaus oder im Freiland. Bei Barfrösten schützt eine Vliesabdeckung die Pflanzen vor Frost und Austrocknung. Ab März werden die Pflanzen auf Freilandbeete ausgeräumt, wo die Callunen bis Anfang/Mitte Juni, dem letzten Stutztermin, Topf an Topf stehenbleiben. Das Ende der Kulturarbeiten ist mit dem Ausstellen auf die Freilandbeete mit einem Endabstand von etwa 10 Pflanzen pro m² erreicht. Die Glockenheide wird meist schon ab Mitte Mai auf den Endabstand gestellt. Ab August beginnt die Blüte der frühen Sorten, die späten blühen Ende September/Anfang Oktober.

Viel Technik im Spiel

In Heidepflanzengärtnereien spielt Technik eine große Rolle. Große Stückzahlen an Pflanzen sind mit Handarbeit nicht zu bewältigen. Das Pikieren und Topfen erfolgt mittlerweile überwiegend mit Pikier- und Topfautomaten. Gestutzt wird mit umgebauten Rasenmähern, die auf einem Gestell montiert über den Bestand gezogen werden können. Dies erfordert eine ebene Kulturfläche, damit die richtige Stutzhöhe eingehalten werden kann. Bewässert wird überwiegend mit Gießwagen. Für den innerbetrieblichen Transport, vor allem zum Ausräumen der Pflanzen und für die Ernte der blühenden Pflanzen, werden vielfach schon Gabelstapler mit speziellen Rückgabeln genutzt. Lediglich die Stecklingsernte und das Stecken der kleinen Stecklinge erfolgt von Hand.

Düngung und Pflanzenschutz

Während der Jungpflanzenphase – diese dauert fast ein Jahr – ist der Nährstoffbedarf sehr gering. In diesem Zeitraum wird nur in niedriger Konzentration flüssig gedüngt. Erst ab dem Frühjahr des Folgejahres steigt der Nährstoffbedarf und die Pflanzen werden 1-2 x wöchentlich 0,1 %ig mit einem Flüssigdünger gedüngt. Der Hauptnährstoffbedarf ist ab dem letzten Stutzen bis etwa August. Erfolgt das Topfen der Jungpflanzen erst im März/April des letzten Kulturjahrs, kann dem Topfsubstrat Langzeitdünger zugesetzt werden. Dadurch können Flüssigdüngergaben während der Freilandphase reduziert werden. Eine Vollversorgung mit Langzeitdüngern ist jedoch riskant, da bei schneller Freisetzung der Nährstoffe Versalzungsschäden entstehen können. Bei Herbsttopfung wird auf Langzeitdünger verzichtet, da die Pflanzen während der Winterruhe nicht wachsen und fast keine Nährstoffe aufnehmen.

Tierische Schaderreger spielen bei Calluna und Erica gracilis kaum eine Rolle. Blattläuse und Schadschmetterlingsraupen treten hin und wieder auf. Gegen Blattläuse wird während der Freilandphase kaum noch gespritzt, da sich sehr schnell Marienkäfer ansiedeln und das Problem mit den Läusen auf natürliche Weise zügig erledigt ist. Zur Bekämpfung der Raupen stehen den Anbauern biologisch wirksame Insektizide mit dem Wirkstoff Bacillus thuringiensis supspecies aizawai oder kurstaki zur Verfügung.

Pilzkrankheiten sind für Heidepflanzen deutlich gefährlicher. Besonders schwer bekämpfbar sind die Stammgrundfäulen Phytophthora cinnamomi und Cylindroladium scoparium. Strenge Betriebshygiene ist deshalb erforderlich. Damit diese Erreger nicht über wiederverwendete Stecklings- und Pikierplatten weiterverbreitet werden, werden diese in einem Heißwasserbad desinfiziert.
Gefürchtet ist außerdem die Pilzkrankheit Glomerella. Bei schwülwarmem Wetter kommt es sehr schnell zu Infektionen, die zum Absterben der Triebe führen. Die Pflanzen sind dann unverkäuflich. Während der Jungpflanzenanzucht und im Herbst, wenn die Callunabestände im Freiland sehr dicht sind, können die Grauschimmelfäule Botrytis und die Wurzeltöterkrankheit Rhizoctonia Triebe und Blütenknospen zum Absterben bringen. Für Erica gracilis kann der Echte Mehltau im Spätsommer, sozusagen kurz vor der Zielgeraden, zum vollständigen Abwurf der nadelförmigen Blätter führen. Zur Bekämpfung der gennannten Pilzkrankheiten werden überwiegend chemische Fungizide verwendet. Um den chemischen Pflanzenschutz zu reduzieren, sammeln Betriebe erste Erfahrungen mit biologischen Fungiziden, Pflanzenstärkungsmitteln und Bodenhilfsstoffen. Große Hoffnung setzt man in die Züchtung robuster Sorten, die weniger anfällig für Pilzkrankheiten sind.

Kultur auf Freilandstellflächen und „Was tun gegen Unkraut?“

Im zweiten und letzten Kulturjahr werden die Pflanzen im Freien auf Stellflächen kultiviert. Diese Stellflächen werden bei der Vorbereitung planiert und sind in vielen Gärtnereien mit schwarzem Kunststoffbändchengewebe abgedeckt. Aufkeimendes Unkraut wird damit unterdrückt. Flächen, die nicht mit diesem Gewebe abgedeckt sind, werden vor dem Ausstellen der Pflanzen mit Bodenherbiziden gegen keimendes Unkraut gespritzt. Damit wird der Unkrautdruck bis zum Herbst auf einem erträglichen Niveau gehalten.

Ab April/Mai setzt der für Heidegärtner gefürchtete Flug der Weidensamen ein. Zu diesem Zeitpunkt ist die Topfoberfläche noch nicht zugewachsen und dort landender Weidensamen findet optimale Keimbedingungen. Flüssigdüngung und Bewässerung sorgen dafür, dass sich aus den kleinen Sämlingen sehr schnell größere Weidenpflanzen in den Töpfen entwickeln. Ein sehr aufwändiges Jäten von Hand ist dann notwendig. Bei Callunen können Herbizide als Überkopf-Behandlung keimende Weide erfolgreich abtöten. Erica gracilis reagieren dagegen sehr empfindlich auf Herbizid-Überkopfbehandlungen. Während der Flugzeit der Samen werden Eriken deshalb mit einem dünnen Vlies abgedeckt, welches den Samen abhält. Das geht allerdings nur so lange, wie die Temperatur unter dem Vlies bei sonnigem Wetter nicht zu stark ansteigt.

Herausforderungen für die Zukunft – Klimawandel, Torfersatz und Pflanzenschutz

Starkregenereignisse, Hagel und heiße Sommer machen auch den Heidegärtnern und deren Kulturen zu schaffen. Ganze Heidebestände sind schon Regenfluten oder einem Hagelereignis zum Opfer gefallen. Da solche Wetterextreme überwiegend im Hochsommer auftreten, sind die Pflanzen danach nicht mehr zu retten. Die Schäden werden bis zum Herbst nicht mehr ausgewachsen. Die stärker zunehmenden Früh- und Spätfröste stellen dagegen ein geringeres Problem dar. Im Frühjahr können die Bestände mit Vliesabdeckungen geschützt werden. Gegen Spätfröste im Herbst sind die Gärtnereien mit einer Frostschutzberegnung ausgestattet, welche die blühenden Pflanzen in einen schützenden Eispanzer einhüllt.

Lange Hitzephasen im Spätsommer und Herbst beschleunigen die Blütenentwicklung, bremsen jedoch die Kauflaune der Kunden für Heidepflanzen. Die einzige Möglichkeit, das Verblühen zu verhindern, ist das Einlagern aufgeblühter Pflanzen in Kühlhäusern bei 2 – 5 °C. Glücklicherweise vertragen Eriken und Callunen diese Behandlung einige Wochen unbeschadet. Sie können dann verkauft werden, wenn die Nachfrage wieder vorhanden ist.

Eine große Herausforderung ist der Verzicht auf Torf im Kultursubstrat oder zumindest die Verringerung. Moorbeetpflanzen wachsen am besten in saurem Torfsubstrat. Werden Torfersatzstoffe verwendet, ist der pH-Wert meist zu hoch. Diesen so weit abzusenken, dass Eriken und Callunen darin ohne Probleme wachsen, daran arbeiten verschiedene gartenbauliche Versuchsanstalten in Deutschland.

Heidepflanzen aus der Region?

Callunen und Eriken werden in großen Stückzahlen in spezialisierten Gärtnereien in Deutschland produziert. Das größte Anbaugebiet ist am Niederrhein. Kleinere Anbaugebiete findet man in Nord- und Ostdeutschland, in Südhessen (aktuell 14 Gärtnereien) und in Bayern. Die meisten Heide-Produktionsbetriebe verkaufen nicht an Privatkunden. Die Pflanzen gelangen über den Großhandel an den Fachhandel mit mengenmäßig etwa einem Drittel des Marktanteils. Zwei Drittel der produzierten Pflanzen werden im fachfremden Handel (LEH, Discounter oder Baumärkte) vermarktet. Verbraucher, die nach regional produzierten Heidepflanzen suchen, haben es schwer, denn die Herkunft der Pflanzen ist meist nicht ersichtlich.

Große Stückzahlen werden in andere EU-Länder exportiert. Damit haben Heidepflanzen eine Sonderstellung in Deutschland, denn andere Topfpflanzen werden überwiegend für den deutschen Markt produziert.