Rinder
Low Stress Stockmanship – Stressfreier Umgang mit Rindern
Seminarreihe für Milch- und Mutterkuhhalter, Bad Hersfeld/Mossautal
Der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen organisierte am 10. und 11. November in Zusammenarbeit mit dem BMEL geförderten Projekt „Netzwerk Fokus Tierwohl“ ein Praxisseminar zum Erlernen der Low Stress Stockmanship-Methode.
Referent Ronald Rongen, mit mehr als 35 Jahren Erfahrung in Veterinärmedizin, Genetik und Ethologie (Verhaltenswissenschaft), zeigte den Zuschauern in einer gelungenen Kombination aus Theorie und Praxis, wie ein stressfreier Umgang die Arbeit zwischen Mensch und Tier erleichtern kann.
„Mach langsam, wir haben keine Zeit!“
Mit diesen Worten begann Ronald Rongen seinen Vortrag und stellte somit von Beginn an klar, dass eine ruhige Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier unabdingbar für eine stressfreie Zusammenarbeit ist. Dies setzt laut Rongen allerdings auch voraus, dass wir wissen, wie unsere Kühe funktionieren, bzw. wissen, was sie mögen und was sie eher meiden.
Hintergrund der Low Stress Stockmanship -Methode
Der in den Niederlanden geborene Ronald Rongen ist selbst auf einem Milchviehbetrieb aufgewachsen und hat die Methodik des Low Stress Stockmanships (LSS) jahrelang selbst im eigenen Betrieb erlernt und erprobt. Ursprung seines Werdegangs war die Frage, ob es ihm möglich ist zu erforschen, warum manche Kühe so schwierig im Handling sind. Antwort auf diese Frage suchte er in den USA, wo er auf den Cowboy Bud Williams traf, welcher als einer der Gründer der LSS-Methode angesehen wird.
Bud Williams war Autist. Er hatte die Fähigkeit, sich in Kühe hineinzuversetzen und diese stressfrei treiben zu können, mit dem Wissen um ihre Vorlieben und Abneigungen.
Ronald Rongen sieht seine „Berufskombination“ (Tierarzt, Verhaltensforscher und Genetiker) als ideal für das Verstehen von Kühen. Genau wie Bud Williams schwört auch er auf Ruhe und Regelmaß beim Umgang mit Rindern. Kühe sind sehr sensible Tiere und reagieren demnach verstärkt auf unsichere Situationen. Laute Geräusche (speziell das Reiben von Metall auf Metall, lautes Sprechen etc.) sind demnach unbedingt zu vermeiden.
Ist die LSS-Methode auf jedes Tier, bzw. jede Herde anwendbar?
Laut Ronald Rongen ja, ABER:
Das Erlernen dieser Methode setzt einen regelmäßigen Lernvorgang sowohl beim Landwirt als auch bei den Tieren voraus. Man darf nicht erwarten, dass eine Herde oder ein Einzeltier sofort auf diese Methode anspringe, ohne dass zuvor aktiv mit ihm geübt wurde, stellt Rongen klar.
Es steht auch fest, dass es schwierig ist, Tieren die Methode beizubringen, die bereits in der Vergangenheit (vor allem in der Jugendentwicklung) „verzogen“ wurden. Genau wie beim Menschen findet in der Jugendentwicklung die Prägung statt. Diese kann man sich zum Erlernen gewünschter Verhaltensmuster zu Nutzen machen. Aber auch ungewollte Muster können trainiert werden.
Haben sich Tiere bereits in der Vergangenheit gewisse Verhaltensweisen angewöhnt (beispielsweise das Übermaß an Zuneigungsbedürfnis, was als Kalb bestimmt schön, aber bei der Milchkuh oder einem 800 kg schweren Bullen eher ungewünscht ist) wird es schwierig, diesen Tieren das Erlernte in Zukunft abzugewöhnen.
Die Fünf Regeln des LSS
- Rinder wollen sehen wer oder was sie treibt
- Rinder wollen dorthin gehen, wohin sie schauen
- Bewegung erzeugt Bewegung, Tiere folgen einander
- Tiere konzentrieren sich immer nur auf eine Sache (In Bewegung können sie nicht nach einem Fluchtweg suchen. Es ist wichtig, die Tiere beim Treiben stets in Bewegung zu halten!)
- Rinder haben wenig Geduld
Im Hinblick auf die fünf Regeln des LSS ist es zudem wichtig zu wissen, dass Rinder einen anderen Sicht- und Hörbereich als Menschen aufweisen.
Rinder können Töne im Bereich von 23-35 000 Hz. wahrnehmen, während sich der Hörbereich des Menschen zwischen 20-20 000 Hz. befindet. Demnach sind Rinder deutlich empfindlicher, gerade bei höheren und lauten Tönen.
Rinder sehen nahezu rundum. Ihr Sichtbereich beträgt 330 Grad von denen allerdings nur 30 Grad dreidimensional gesehen werden. Es gibt zwei tote Winkel in denen Rinder Personen oder Gegenstände nicht sehen können, direkt vor der Stirn und hinter der Kuh (vgl. Grafik graue Zonen).
Zudem dauert die Anpassung von Hell nach Dunkel laut Rongen ca. 5x länger beim Rind, als bei Menschen. Daher weigern sich Kühe oft in dunkle Räume zu gehen. Der gezielte Einsatz von Licht (im Anhänger, Melkstand etc.) kann hier Abhilfe schaffen und die Rinder stressfrei zum Laufen animieren. So muss kaum noch Druck auf die Rinder ausgeübt werden, was die Nerven von sowohl Kuh als auch Halter schont.
Neben dem Sichtfeld und der Hell- Dunkelwahrnehmung unterscheidet sich auch die Laufgeschwindigkeit der Rinder von der uns Menschen. Auch wenn Kühe in der Spitze bis zu 52 km/h schnell rennen können, ist ihr bevorzugtes Schritttempo mit 2,5 km/h doch deutlich unter dem von uns Menschen mit 4,5 km/h. Demnach laufen unserer Meinung nach die Rinder immer zu langsam, bzw. wir ihnen immer zu schnell. Ein weiterer Punkt, den es beim täglichen Umgang mit den Vierbeinern zu beachten gilt.
Rinder bevorzugen die „links- Orientierung“
Hintergrund der bevorzugten links- Orientierung ist der, dass das linke Auge eines Rindes, die rechte Gehirnhälfte ansteuert. Dort findet die Risikoanalyse statt. Damit Rinder das Risiko einer Situation wahrnehmen und analysieren können, müssen sie die Situation demnach mit dem linken Auge wahrnehmen. Hierzu drehen sie Ihren Kopf in die dafür notwendige Position. Nach erfolgreicher Analyse der Situation, folgt eine Reaktion, z.B. die Flucht. Demnach bevorzugen es Rinder in Linksrichtung zu laufen.
Ronald Rongen gab im weiteren Verlauf des Seminars sehr aufschlussreiche Anregungen darüber, wie man sich auch diesen Zustand der Natur als Mensch zu Nutzen machen kann. Ein Beispiel ist das linksseitige Verladen. Kühe lassen sich einfacher und stressfreier treiben, wenn der Treibgang in links Richtung angelegt ist.
Das Zonenkonzept
Eine weitere Grundvoraussetzung zum stressfreien Treiben von Rindern, ist es sich als „Treiber“ über das Zonenkonzept eines Rindes klar zu werden.
Rongen betonte an dieser Stelle, dass diese Zonen tierindividuell sind und es sich nicht pauschal sagen lässt, in welchem Abstand zum Tier, sich welche Zone befindet.
Gerade in Milchviehherden sind diese Zonen, durch den ständigen direkten Kontakt zu Menschen, enger am Tier, als bei Mutterkühen.
Die Low Stress Stockmanship Methode beruht beim Treiben auf eine aktive Erhöhung und/oder Minderung des Drucks auf das Tier. Hier arbeitet man nicht mit Belohnungen wie Kraftfuttergaben o.ä., sondern der aktiven Reduzierung des Drucks als Zeichen der Belohnung.
Der Treiber übt also durch gezieltes Herantreten an das Tier oder eine Herde so lange Druck aus, bis der gewünschte Effekt eintritt und sich das Tier/die Herde in die Zielrichtung bewegt. Anschließend nimmt er den Druck aktiv heraus und bewegt sich aus der Bewegungszone des Tieres/ der Herde, in die Neutrale Zone und belohne das Tier oder die Herde mit dieser Druckminderung.
Doch funktioniert die Methode auch in der Praxis?
In dem jeweiligen Praxisteil der Veranstaltungen zeigte Rongen die direkte Anwendung der LSS- Methode an den Tieren. Außerdem gab es hier ausreichend Zeit für Diskussion, Fragen und den fachlichen Austausch.
Speziell bei den Mutterkuhhaltern gab es an dieser Stelle fachliche Inputs zum Bauen eines Fangstandes und welche Maße und bauliche Anforderungen dieser in der Praxis zu erfüllen hat.
Vielen Dank an dieser Stelle an die beiden Betriebe: Landwirtschaftszentrum Eichhof, Bad Hersfeld und Familie Bardohl, Mossautal, die Ihre Ställe und Herden hierfür zur Verfügung gestellt haben.
Die Teilnehmer der Veranstaltung können auf ein sehr spannendes, informatives und praxisreiches Seminar zurückblicken.
Weitere Infos zur Veranstaltungen erhalten Sie unter: http://www.fokus-tierwohl.de,
oder bei Jonas Carle, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen.