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Spätreife Weizensorten als ein Puzzleteil des Feldhamsterschutzes

Friedberg. Der Feldhamster ist vom Aussterben bedroht. Von ursprünglich 59 hessischen Feldhamsterpopulationen um die Jahrtausendwende sind aktuell nur noch 11 besetzt. Mit verschiedenen ackerbaulichen Maßnahmen soll dem fortschreitenden Rückgang entgegengewirkt werden. Ein zielführender Baustein könnte der Anbau spätreifer Getreidesorten in Nachweisgebieten der Feldhamster sein. Der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) prüft in Zusammenarbeit mit der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON), welche Weizensorten sich für eine spätere Ernte und somit als flankierende Maßnahmen – zusätzlich zu bereits etablierten Hamsterschutzmaßnahmen, wie Ernteverzicht, Blüh- oder Luzerneflächen oder dem Hamsterhotel – eignen.

Veränderte landwirtschaftliche Produktionsweisen, wie beispielsweise immer frühere und effizientere Ernten, aber auch der Lebensraumverlust durch Versiegelung haben seit den 1980er Jahren zu einem starken Rückgang der Feldhamster geführt; Foto: Manfred Sattler

In Hessen konzentrieren sich die Aktivitäten zum Feldhamsterschutz vor allem auf die verbleibenden Kernvorkommen im Landkreis Gießen, Main-Kinzig-Kreis, Main-Taunus-Kreis, und im Wetteraukreis. Dort, wo Hamsterbauten nachgewiesen wurden, verzichten die Bewirtschaftenden bereits jetzt auf einen Teil ihrer Ernte und lassen Getreidebestände in mindestens 8 m breiten Streifen oder bis zu 1.600 m² großen Zellen bis in den Oktober hinein stehen. Die Ertrags- und Qualitätseinbußen bekommen die Bewirtschaftenden über das Hessische Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflege-Maßnahmen (HALM) ausgeglichen.

Zwar trägt der Ernteverzicht zum Erhalt der Populationen bei, doch konnte, laut der HGON, die sich seit Jahren im Feldhamsterschutz engagiert, bislang keine Ausbreitung über bestehende Vorkommensgebiete hinaus beobachtet werden. „Die Streifen und Parzellen sind schlicht weg nicht flächendeckend genug, um größeren Populationen Schutz zu bieten. Gleichzeitig können sie aber auch nicht ins Unendliche ausgedehnt werden, da wir hier schnell das Spannungsfeld zwischen Nahrungsmittelanbau und Artenschutz tangieren“, gibt Valentina Baumtrog von der HGON zu bedenken.

„Wir müssen einfache und zugleich effektive Maßnahmen entwickeln, die sich in die moderne Landbewirtschaftung integrieren lassen“, unterstreicht Rainer Cloos, Pflanzenbauberater vom LLH. Er erklärt: „Klimawandelbedingt wird Winterweizen in unseren Gefilden mittlerweile bereits im Juli gedroschen. Die Feldhamster haben so bis zu ihrer im Oktober beginnenden Winterruhe ein sehr hohes Risiko, Opfer von Greifvögeln und Raubtieren zu werden und können keine ausreichenden Futtervorräte anlegen. Möglicherweise können die vom Aussterben bedrohten Nager unterstützt werden, wenn an die Nacherntestreifen bzw. Mutterzellen angrenzendes Getreide erst rund drei Wochen später, d.h. bis Mitte August geerntet wird.“

Eine spätere Ernte steigert jedoch die Gefahr, dass das Getreide ins Lager geht; der Ertrag und die Qualitätseigenschaften, wie z.B. Backeigenschaften, verschlechtern sich. Der Anbau von sich langsamer entwickelnden, spätreifen und standsicheren Sorten könnte das wirtschaftliche Risiko für die Bewirtschaftenden minimieren.
Welche Weizensorten in der Praxis trotz längerer Standzeit hohe und qualitativ gute Erträge bringen und somit für Maßnahmen zum Feldhamsterschutz in Hessen geeignet sind, dazu hat der LLH im Jahr 2020 an zwei Standorten im Wetterauskreis erste Praxiserhebungen gestartet, deren Ergebnisse nun ausgewertet wurden.

Auf den Flächen von Hans Peter Zorn in Butzbach-Ostheim sowie Jürgen Stetzer in Nieder-Rosbach, beide im Hamsterpopulationsbereich, wurden auf insgesamt rund 13 ha 11 Sorten mit unterschiedlichen Wuchs- und Qualitätseigenschaften angebaut. Pro Sorte wurde eine Hälfte Mitte August, die andere am 1. Oktober gedroschen. „Die Ergebnisse fielen überaus positiv aus. Zum Erntetermin Mitte August erreichten beim Backqualitätsmerkmal ‚Fallzahl‘ fast alle Sorten die Mindestanforderungen. Selbst zur Späternte erzielten einige Sorten, die nicht ins Lager gegangen waren, noch eine über den Mindestanforderungen liegende Fallzahl – und machen sie somit als mögliche „Hamsterschutzsorten“ interessant. Auch Seitens der Erträge konnten keine gravierenden Unterschiede gegenüber den regional- und erntezeittypischen Ergebnissen festgestellt werden. Doch 2021 stellte mit seinem atypischen, feuchten Witterungsverlauf ohne Frühsommertrockenheit eine Ausnahme dar. Die Ergebnisse sind daher nur bedingt aussagekräftig“, erläutert Cloos.

Den ansässigen Feldhamstern scheinen die Praxiserhebungen gefallen zu haben: In Butzbach-Ostheim konnten in der näheren Umgebung der Sortenfläche 21 Hamsterbauten nachgewiesen werden (in 2020 waren es 2); in Nieder-Rosbach wurden in den angrenzenden Flächen 29 Feldhamsterbaue dokumentiert (in 2020 waren es 8). Dennoch sind auch diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Baumtrog: „Das ist eine erfreuliche Entwicklung, die aber nicht ursächlich mit den durchgeführten Praxiserhebungen zusammenhängen muss. Es handelt sich hier nicht um wissenschaftliche Exaktversuche, die konkrete Aussagen über die Gründe der steigenden Anzahl an Feldhamsterbauen zulassen. So waren die Wetterbedingungen in 2021 ausgesprochen „hamsterfreundlich“. Vielerorts hatten Regenperioden zu einer verspäteten Ernte geführt. Die Feldhamsterweibchen konnten den, zum Erhalt der Population dringend benötigten, zweiten von drei möglichen Würfen im Jahr aufziehen.“

Das Thema in den kommenden Jahren weiter zu verfolgen, um „Hamstersorten-Empfehlungen“ zu erhalten, ist das Ziel von Cloos, der die Praxiserhebungen pflanzenbaulich betreut hat. Die neuen Sortenflächen wurden im vergangenen Herbst unweit der alten eingesät. Einige der bereits einmal geprüften Sorten sind wieder dabei, andere, die weniger gut abgeschnitten haben, wurden durch neue Kandidaten ersetzt. Zudem wird in diesem Jahr ein Kontrolldrusch zum regionaltypischen Erntetermin durchgeführt.

„Unsere Bemühungen leisten nur einen kleinen, ergänzenden Beitrag zum großangelegten Schutzprojekt der HGON und des Landkreises Wetterau. Dennoch lohnt der Ansatz, denn was dem seltenen Körnersammler guttut, hilft auch vielen anderen wildlebenden Tierarten in der Agrarlandschaft. Wir sind gespannt, was das Jahr uns bringt“, führt Cloos abschließend aus.