Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen

Biodiversität

Wo Blüh-Paten Insekten helfen

In Seligenstadt schafft ein Landwirt gemeinsam mit Bürgern weite Blühflächen für Insekten. So fördert er nicht nur den Insektenschutz, sondern auch den Dialog miteinander.

Ob Phacelia, Kornblume oder Perserklee: Auf den Feldern von Norbert Zöller können Insekten es sich den ganzen Sommer über schmecken lassen. Wo ansonsten Getreide, Kartoffeln oder Mais wachsen würden, pflanzt der Landwirt aus dem Landkreis Offenbach im Frühjahr Blühmischungen. Seit 2019 unterstützen Menschen aus Seligenstadt ihn dabei, indem sie als sogenannte Insektenhelfer eine Patenschaft für Blühflächen übernehmen. Die Idee, die Bevölkerung mit ins Boot zu holen, brachte Zöllers Sohn mit nach Hause.

Wer sich für eine Patenschaft interessiert, kann sich über die Website anmelden und die gewünschte Flächengröße auswählen. Eine Übersichtskarte zeigt, wo die jeweilige Teilfläche liegt. Die Flächeneinheiten sind dabei preislich gestaffelt; die kleinste Fläche ist zehn Quadratmeter groß und kostet 19 Euro für ein Jahr. Mit dem Beitrag der Paten ersetzen die Zöllers den Ertragsausfall, den sie durch die Blühflächen haben.

Dreimal mehr Fläche als gedacht

Das Besondere an der Aktion Insektenhelfer: Bei jeder Patenschaft geben die Zöllers die gleiche Fläche nochmal kostenlos dazu – und verdoppeln damit die Größe des Blütenmeers. „Insektenhelfer ist eine gemeinsame Aktion von Bürgern und Landwirten. Mir war ganz wichtig, dass das rüberkommt“, sagt der 57-Jährige.

Die Strategie war erfolgreich: Während sie für das erste Jahr mit eineinhalb Hektar Fläche kalkuliert hatten, war der Zuspruch so groß, dass letztlich sechs Hektar daraus wurden. 203 Patenschaften gab es 2019 – von Privatpersonen, Unternehmen und Vereinen. Gleichzeitig stieß das Projekt überörtlich auf großes Interesse: Die hessischen Pflanzenbauberater luden Zöller zu einer Tagung ein und auf Kreisebene stellte er das Projekt im Fachbeirat für Landschaftspflege der Unteren Naturschutzbehörde vor.

2020 fallen die Blühflächen mit 180 Patenschaften und fünf Hektar Fläche etwas geringer aus. Das führt Zöller vor allem darauf zurück, dass Corona in diesem Jahr mehr Platz in der öffentlichen Diskussion einnimmt und das Insektensterben 2019 noch präsenter war.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Blühpaten-Informationsveranstaltung in 2019; Foto: Norbert Zöller
Weil die Landwirtschaft in Hessen kleinteilig strukturiert ist und die Flächen an ein landwirtschaftliches Wegenetz mit vielen Feldwegen angeschlossen sind, bieten die Gemarkungsflächen viel Abwechslung, Nahrung und Lebensraum für Insekten, Vögel und andere Tiere. Im Zusammenhang mit Insektensterben tritt daher in diesem Bundesland nicht so sehr die Struktur der Landschaft, sondern der Einsatz von Insektiziden in den Fokus. Kritische Stimmen kommen dabei auch aus der Bevölkerung. Ein Bürger stellte infrage, inwiefern sich die Insektenhelfer-Aktion rechtfertigen ließe, wenn doch trotzdem Insektizide und Herbizide zur Anwendung kämen. Zöller: „Ohne Verantwortung abweisen zu wollen: Wir sind darauf angewiesen, dass wir von den Herstellern Pflanzenschutzmittel an die Hand kriegen, die entsprechend geprüft sind – darauf müssen wir uns als Praktiker verlassen.“ Denn ganz ohne gehe es nicht: „Wenn die Kartoffelkäfer drohen, alles abzufressen, muss ich reagieren.“

Zu den Paten der Insektenhelfer-Aktion gehört auch der Bienenzuchtverein Seligenstadt, in dem Zöller Mitglied ist. Dass der Verein die Aktion unterstützt, liegt auch an den regionalen Entwicklungen. Vor rund drei Jahren brachte die Grünenfraktion in Seligenstadt den Antrag ein, auf allen öffentlichen Flächen den Einsatz von Glyphosat zu verbieten – und wollte den Bienenzuchtverein für eine Zusammenarbeit gewinnen. „Das Verbot hätte auch für Flächen gegolten, die die Gemeinde an Landwirte verpachtet“, erzählt Ulrich Volm, erster Vorsitzender des Vereins. „Aber ich persönlich habe ein Problem damit, anderen vorzuschreiben, wie sie zu arbeiten haben. Ich möchte mit den Leuten sprechen und Lösungen finden.“ Im Stadtparlament plädierte er daher gegen ein Verbot. „Man sollte lieber aktiv werden und mit gutem Beispiel vorangehen: städtische Flächen besser gestalten, nicht nur abmähen, sondern mehrjährige Stauden pflanzen“, sagt Volm. „In der Gemarkung Seligenstadt haben die Landwirte nur kleine Flächen. Sie zu bestellen, ist aufwendig und kostspielig. Weitere Restriktionen würden das nur noch erschweren.“ Nach langer Diskussion wurde der Antrag nicht verabschiedet. Die Stadt fördert nun aber das Aussäen blühender Zwischenfrüchte wie Senf oder Phacelia. „Herr Zöller hat Eigeninitiative ergriffen und die Insektenhelfer auf die Beine gestellt. Aufgrund dieser Vorgeschichte war es für uns als Verein nur die logische Konsequenz, ihn zu unterstützen“, sagt Volm. Für 1 000 Quadratmeter Fläche übernahmen die Imker eine Patenschaft.

Verantwortung gemeinsam tragen

Sich als Landwirt für den Schutz von Insekten einzusetzen, ist für Zöller kein Widerspruch: „Mit der Aktion Insektenhelfer leisten wir einen nicht unerheblichen Beitrag. Außerdem bauen wir blühende Zwischenfrüchte an, die die Insekten auch im Herbst ernähren.“ Gleichzeitig ermöglicht die Aktion, mit den Bürgern im Gespräch zu bleiben. Dieser Dialog zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung ist für Zöller besonders wichtig und motiviert ihn, die Aktion weiter voranzutreiben. Er möchte den Wert regionaler Landwirtschaft verdeutlichen, der für ihn gerade in Ballungsräumen wie im Rhein-Main-Gebiet immer mehr aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet. Zusätzlich zur Aktion Insektenhelfer führt er deswegen regelmäßig Schulklassen über seinen Hof, um für sie einen Bezug zur Produktion von Nahrungsmitteln herzustellen. „Ich glaube, es ist ganz wichtig, den Leuten klarzumachen, dass die Landwirtschaft gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie den Insektenschutz nicht alleine schultern kann. Und das kann man am besten vermitteln, wenn man die Leute beteiligt.“

Kontakt:

Norbert Zöller
Insektenhelfer Seligenstadt
Telefon: 06182 1861

www.insektenhelfer-seligenstadt.de


Zweitverwertung: Der Beitrag erschien erstmals in der Zeitschrift LandInForm – Magazin für Ländliche Räume, Ausgabe 3.20, herausgegeben von der Deutschen Vernetzungsstelle Ländliche Räume (www.land-inform.de)


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