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Biomarkt unter Druck

Während des coronabedingten „Lockdowns“ kletterten die Umsätze im Biosegment noch auf ein Rekordniveau. Zunächst in 2020 auf 15 Mrd. Euro, dann in 2021 sogar auf fast 16 Mrd. Euro. Dies entsprach einem Umsatzwachstum von 5,8 % gegenüber dem Vorjahr und einer Verdoppelung der Ausgaben innerhalb der letzten zehn Jahre.

Im Jahr 2021 lag der Anteil von Bio-Lebensmitteln am Gesamtmarkt damit bei etwa 6,8 %. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine und der Schließung wichtiger Seehäfen in China haben sich die Koordinaten jedoch verschoben. Explodierende Energiepreise, Rohstoffknappheiten und gestörte Lieferketten treiben die Preisinflation auf immer neue Höchststände. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem externen Schock an den Märkten. Im Monat Mai wurden die Einkommen infolgedessen um ca. 8 % entwertet. Damit erreicht die Inflation bereits jetzt den höchsten Stand seit 50 Jahren.

Kaufkraftverluste bedingen „Down-Selling-Effekt“

Mit den realen Kaufkraftverlusten hat sich die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für Lebensmittel zuletzt reduziert. Zumindest lassen darauf die Zahlen des GfK-Konsumpanels schließen, wonach die Ausgaben privater Haushalte für frische Lebensmittel im Mai um 3 % gefallen sind. Im Biosegment waren die Umsatzrückgänge mit 7 % sogar noch stärker. Hier kommt offenbar ein sog. „Down-Selling-Effekt“ zum Tragen: Die Verbraucher wechseln vom Premiumsegment in das Niedrigpreissegment, um die Kaufkraftverluste teilweise wieder zu kompensieren.

Dies deckt sich mit den Erfahrungsberichten von Bio-Legehennenbetrieben und Betreibern von Hühnermobilen, die massive Umsatzeinbrüche beklagen. In einigen Fällen wurden sogar Abnahmeverträge von großen Lebensmittelhändlern einseitig gekündigt, womit Überhänge an Bio-Eiern zuweilen in Biogasanlagen entsorgt werden mussten. In vielen Hofläden scheint die Situation ebenfalls angespannt zu sein. Doch es gibt Unterschiede zwischen den Vertriebsformen.

Umsätze im Naturkosthandel stark rückläufig

Während die Umsätze im Naturkosthandel in den ersten vier Monaten 2022 um rund 20 % einbüßten, konnten die Vollsortimenter und Direktvermarkter ihr Umsatzniveau zumindest halten, so Diana Schaack von der AMI-Bonn. Hingegen verbuchten die Discounter beim Umsatz mit Bioprodukten sogar ein Umsatzplus. Viele meinen bereits jetzt den Niedergang der Ökologischen Landwirtschaft kommen zu sehen. Von einer Billigkultur der Verbraucher, falschen Versprechungen der Bio-Anbauverbände, vermeintlichen Angebotsüberhängen und fehlender Unterstützung von Seiten der Politik ist schnell die Rede. Dabei wird allerdings verkannt, dass es sich aktuell um eine Ausnahmesituation handelt, die niemand vorhersehen konnte und für die es kein Drehbuch gibt. Temporäre Ungleichgewichte werden durch die Unsicherheit der Verbraucher und deren Nachfragereaktionen aktuell noch verstärkt. Steigende Kosten und rückläufige Umsätze setzen die Ökobetriebe unter Druck. Doch lässt sich daraus schlussfolgern, dass der Bio-Boom damit Geschichte ist? Dies scheint nach jetziger Einschätzung eher unwahrscheinlich, wenngleich die aktuellen Marktverwerfungen noch für einige Zeit bestehen bleiben dürften.

Megatrend „Bio“ dürfte dennoch Bestand haben

Durch den Wertewandel in der Gesellschaft und veränderte Ernährungsgewohnheiten werden die Verbraucher wohl auch in Zukunft verstärkt auf Bio, Nachhaltigkeit und Regionalität achten. Dies gilt besonders für die jüngeren Konsumentengruppen, die aktiv zur Lösung drängender Umweltproblem beitragen und Aspekte wie Tierwohl fördern möchten. Sollten die Realeinkommen der Verbraucher allerdings weiter sinken, wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis die Ausgaben für Biolebensmittel wieder das Niveau der Vorjahre erreicht haben.

Umsatz mit Biolebensmitteln; Stand 22.06.2022; Quelle: Umweltbundesamt