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Preisverfall am Kälbermarkt – Ursachen und Hintergründe

„Was kostet ein Kalb?“ Diese Frage stellte ein öffentlich-rechtlicher Rundfunksender Passanten in einer städtischen Fußgängerzone. Die Antworten lauteten nach kurzer Überlegung u.a. „500 Euro, 300 Euro, 250 Euro“ – ein junger Mann taxierte den Kälberpreis sogar auf stolze 5.000 Euro.

Als man den Befragten anschließend den tatsächlichen Kälberpreis nannte, wich das Lächeln rasch einem ungläubigen Stirnrunzeln. Am preislichen Tiefpunkt im Mai 2020 kostete ein Bullenkalb der Rasse „Holstein Friesian“ (milchbetonte Nutzungsrasse) in Hessen noch gerade einmal 25 Euro. Aussortierte Kuhkälber, die für die Nachzucht ungeeignet sind sowie schwächere Bullenkälber der „3. Qualität“ wurden in der Regel mit symbolischen Preisen von 1 Euro abgerechnet. Ottmar Ilchmann von der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft kritisierte in einem Interview mit dem Spiegel: „Da kostet ein Kalb inzwischen weniger als ein Kanarienvogel.“

Aus den Preismeldebögen des Viehhandels geht hervor, dass den landwirtschaftlichen Betrieben für die Abgabe dieser Kälber an den Viehhandel bisweilen sogar noch Geld berechnet wird. Zu erkennen ist dies etwa an Positionen wie „zur Verwertung: – 10,00 Euro“. Einige Kälber gehen direkt zum Schlachthof und werden dort u.a. zu Tierfutter verarbeitet. Die Ursachen und Hintergründe für diese Marktverwerfungen sind komplex und sollen hier eingehend untersucht werden. Weiterhin werden in Anlehnung an das Hohenheimer-Modell mögliche Lösungsansätze für das „Kälber-Problem“ diskutiert, die tierethisch vertretbar sind und deren Praxistauglichkeit gerade evaluiert wird.

Markteinflussfaktoren in der Analyse

Im Mai 2020 war der absolute Tiefpunkt erreicht. Mit 25 Euro kostete ein Holstein-Bullenkalb in Hessen nicht einmal ein Drittel dessen, was es zum gleichen Zeitpunkt noch im Vorjahr kostete. Und dies, obwohl die Kälberpreise in den Monaten Mai und Juni typischerweise ihr saisonales Preishoch erreichen. Diese Saisonfigur lässt sich damit erklären, dass bis in den Juni hinein verstärkt Einstallungen für das Weihnachtsgeschäft erfolgen. Sind diese abgeschlossen, lässt die Nachfrage nach Nutzkälbern wieder deutlich nach, was in der Folge zu einem größeren Angebot und fallenden Preisen führt. Eine solche Saisonkomponente war in den Jahren zuvor wie eine Gesetzmäßigkeit in den Daten zu beobachten – nicht jedoch in 2020. Zwar schienen sich die Preise zunächst wieder zu erholen, doch kam im Dezember der nächste Einbruch auf 28 Euro. Experten erklären dies mit dem „Corona-Effekt“, der wie ein externer Schock auf den ohnehin schwächelnden Kälbermarkt durchschlug. Ausgangspunkt waren die pandemiebedingten Schließungen der Gastronomie, denn mit ihnen kam der Außer-Haus-Verzehr in den Kantinen nahezu gänzlich zum Erliegen. Dies wiederum bewirkte einen dramatischen Absturz der Rindfleischpreise, was viele Bullenmastbetriebe verunsicherte und dazu führte, dass keine weiteren Kälber mehr eingestallt wurden. Verlustbegrenzung lautete die Devise. Aktuell ist die Marktlage nicht mehr ganz so prekär, da die Mäster angesichts einer voranschreitenden Impfkampagne und gestiegener Schlachtrinderpreise wieder optimistischer in die Zukunft blicken. Infolgedessen steigt auch die Einstallbereitschaft. Für ausgezeichnete Qualitäten werden zuweilen Preise von bis zu 100 Euro gezahlt. Schwächere Bullenkälber gehen mit ca. 5 bis 30 Euro in die Bücher. Innerhalb dieser großen Preisspanne beträgt der gewichtete Durchschnittspreis aktuell 68 Euro an. Wie den Daten aus Abb. 1 zu entnehmen ist, bewegt sich der Markt auf diesem Preisniveau immer noch deutlich unter dem mehrjährigen Mittel.

Preise für Holstein-Bullenkälber in EUR/Kalb, Marktregion Hessen (Quelle: LLH)

Hinzu kommen Vermarktungsprobleme durch das sog. Blauzungenvirus, dessen Nachweis bei Rindern zur Einrichtung einer Restriktionszone mit einem Radius von 150 km führt, aus der grundsätzlich keine Tiere mehr ohne Impfschutz ausgeführt werden dürfen. Betroffen waren zuletzt v.a. Landkreise in Rheinland-Pfalz, Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, Südhessen und NRW.

Die Kosten für die Kälbermast sind im Ausland i.d.R. geringer als in Deutschland. Deshalb werden jede Woche über 10.000 Kälber über den Viehhandel in die Niederlande verkauft, wo sie von spezialisierten Kälbermastbetrieben kostenminimal gemästet werden. Weltmarktführer ist das niederländische Privatunternehmen VanDrie Group, das einen Jahresumsatz von ca. zwei Mrd. Euro erwirtschaftet. Auf diese Weise gelangten im Jahr 2020 insgesamt 600.000 Kälber aus Deutschland in die Niederlande und ein Großteil als Kalbfleisch später wieder zurück nach Deutschland. Da die Tiere mit nährstoffreduziertem Futter gemästet werden, hat das Fleisch eine deutlich hellere Farbe als das der heimischen Tiere. Dabei sollte Kalbfleisch bei artgerechter Haltung eigentlich rosa sein.

Weitere 18.357 Kälber gelangten über den Export nach Spanien, knapp 5.000 Kälber nach Italien. Dort werden sie ebenfalls von spezialisierten Betrieben gemästet, in vielen Fällen aber auch als Masttiere an Abnehmer im Libanon, Marokko und Algerien weiterverkauft.

Handelsströme im Kälberexport aus Deutschland, 2020 (Quelle: Destatis)

 

Exportstatistik Top-Five

Land Anzahl Kälber Anteil in %
Niederlande 599.296 95,00
Spanien 18.357 2,90
Italien 4.998 0,80
Polen 4.811 0,75
Belgien 2.912 0,50

Diese Absatzkanäle waren durch Corona zeitweise komplett blockiert, während auf den Milchviehbetrieben weiter Kälber geboren wurden. Die Hälfte davon sind Bullenkälber milchbetonter Nutzungsrassen, die für die Mast eigentlich ungeeignet sind. Somit stieg der Angebotsüberhang und der Markt konnte diese Kälber nicht mehr aufnehmen. Hier endet zumeist die Problemanalyse und es fehlt bisher an einer umfänglichen Initiative der Branche, eine Lösung herbeizuführen. Dies hat u.a. auch damit zu tun, dass eine wichtige Ursache des Kälber-Problems häufig ausgeblendet wird. Diese ist zum Teil systemimmanent, also eine Begleiterscheinung der hochspezialisierten Milchwirtschaft, in der Bullenkälber als Kuppelprodukt anfallen. Dieser strukturelle Effekt, seine Ursachen und mögliche Lösungswege werden im Folgenden diskutiert.

Strukturelle Entwicklungen des EU-Kälbermarkts

Im Jahr 2019 erreichte die Milchproduktion in der EU einen historischen Höchststand von 159 Mio. t. Davon produzierten alleine Deutschland und Frankreich zusammen 57 Mio. t. Die produzierte Milchmenge ist damit in der EU in den letzten 15 Jahren um etwa 20% gestiegen. Und der Selbstversorgungsgrad – als Indikator für die inländische Herstellung von Produkten in Prozent ihres Verbrauchs – auf beachtliche 118% geklettert. Nach Einschätzung der EU-Kommission könnte die EU-Milchproduktion bis zum Jahr 2030 noch weiter auf 179 Mio. t/Jahr steigen. Nach Neuseeland ist die EU in der Exportstatistik damit bereits zweitgrößter Anbieter von Milchprodukten am Weltmarkt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass der durchschnittliche Milchertrag/Kuh/Jahr europaweit im Jahr 2019 auf 7.249 kg gestiegen ist. Um diese Milchleistung zu erzielen, muss die Kuh typischerweise einmal im Jahr ein Kalb gebären. Bei einem Bestand von 22 Mio. Milchkühen in der EU werden also jedes Jahr fast ebenso viele Kälber geboren. Da die Rasse Holstein Friesian auf maximale Milchleistung gezüchtet wurde, eignet sie sich eigentlich nicht für die Kälbermast. Der Angebotsüberhang ist also vorprogrammiert.

Der daraus resultierende strukturelle Effekt auf die Kälberpreise ist langfristig betrachtet deutlich mächtiger als die saisonalen Schwingungen (z.B. Einstallungen für das Weihnachtsgeschäft) und die irreguläre Preiskomponente (Blauzungenvirus, Corona). Durch das Überangebot an Bullenkälbern sind die Kälberpreise seit den 2000er-Jahren trendmäßig immer weiter gefallen. So hat ein Milchbauer in Hessen im Jahr 2003 für ein Holstein-Kalb noch ca. 200 Euro bekommen. Im Jahr 2020 waren es im Schnitt gerade einmal 40 Euro. Statistisch betrachtet, ist der Kälberpreis im mehrjährigen Mittel der letzten 20 Jahre jedes Jahr um ca. 4,50 Euro gefallen. Sollte die EU-Milchproduktion bis zum Jahr 2030 tatsächlich auf 179 Mio. t steigen, könnte der Preisverfall am Kälbermarkt und die damit verbundenen Probleme weiter zunehmen. Es braucht daher jetzt eine Strategie, um das Spannungsfeld zwischen Wachstum, Effizienz und tierethischen Aspekten in Zukunft lösen zu können.

Die tierethische Dimension des Kälber-Problems

Auch Matthias Kohlmüller, Marktexperte bei der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) in Bonn, sieht in der hochspezialisierten Milchviehhaltung eine wesentliche Ursache für das Kälberproblem. In einem Interview am 30.03.2020 gegenüber rbb24 erklärte er: „Wir produzieren billig, billig, billig und Masse.“ Illegale Kälbertötungen und nicht tiergerechte Viehtransporte waren in letzter Zeit wiederholt Gegenstand medialer Berichterstattungen im Fernsehen. In vielen Fällen werden Kälber, die noch nicht entwöhnt sind, im Alter von wenigen Wochen über weite Entfernungen per LKW z.B. nach Spanien und Italien verbracht.

Von dort aus gelangen sie häufig als Masttiere per Schiff in den Libanon und nach Algerien zur Schlachtung. Genaue Zahlen sind mangels Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette allerdings kaum verfügbar. Im März 2021 wurde in den Medien darüber berichtet, wie 2.600 Rinder auf zwei Frachtschiffen monatelang ziellos auf dem Mittelmeer umhertrieben. Ursprünglich sollten die Frachter die Tiere von Spanien in die Türkei verbringen, wo die Schiffe jedoch wegen des Verdachts auf die Blauzungenkrankheit keine Anlegegenehmigung erhielten. Nachdem zahlreiche Rinder auf See verendet waren, wurden die restlichen Tiere im Hafen von Cartagena (Spanien) notgeschlachtet. Ein nicht unerheblicher Teil der Rinder stammte ursprünglich aus Deutschland.

Unter ethischen Gesichtspunkten sind derartige Handelsströme insofern problematisch als es sich hier um Lebendviehtransporte handelt. Auch für die Milchwirtschaft selbst stellen derartige Vorfälle ein Risiko dar, wenn das Produkt Milch dadurch einen Reputationsschaden erleidet. Schon jetzt stehen jüngere Konsumentengruppen der Milchindustrie aus verschiedenen Gründen eher ablehnend gegenüber. Dies zeigt der regelrechte Nachfrageboom bei Milchersatzprodukten wie Soja-, Hafer- und Mandelmilch. Bei jungen, weiblichen Singles bis zum Alter von 27 Jahren liegt die Käuferreichweite bei diesen Produkten laut Gfk-Konsumpanel inzwischen bereits bei 43%. Möchte man diese Kunden von morgen nicht verlieren, besteht hier durchaus Handlungsbedarf. Andernfalls gehen vermutlich weitere Marktanteile verloren.

Evaluierung möglicher Lösungsansätze

Das Kälberproblem steht exemplarisch für ein Spannungsfeld zwischen Wachstum, Effizienz und tierethischen Aspekten der Nutztierhaltung in modernen Gesellschaften. Tatsächlich kann das jetzige System der Kälberhaltung und Vermarktung den gesellschaftlichen Ansprüchen an eine tierwohlgerechte Landwirtschaft kaum gerecht werden. Für die Milchviehbetriebe bedeutet es hingegen ein Verlustgeschäft, wenn Kosten in Höhe von ca. 150 Euro für Aufzucht und Tierarzt mickrigen Kälbererlösen gegenüberstehen. Idealerweise gelingt es, tierethisch vertretbare Lösungsansätze zu finden, die auch für die Landwirte einen Mehrwert generieren. Wie Forscher der Universität-Hohenheim gerade im Projekt „WertKalb“ untersuchen, kommen potenziell Maßnahmen in den Bereichen Züchtung, Haltung & Erzeugung, Transport & Verarbeitung, Marketing & Handel und Verbraucher in Betracht.

Es handelt sich hier um ein Modellprojekt in Zusammenarbeit mit Praxispartnern aus der Tierzucht, regionalen Milchviehbetrieben und Einzelhändlern wie der EDEKA-Südwestfleisch, das zur wissenschaftlichen Untersuchung von Strategien zur Lösung des Kälberproblems im Bio-Segment initiiert wurde. Tatsächlich sehen sich nämlich auch die Bio-Milchviehbetriebe mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie ihre konventionellen Berufskollegen, da es kaum einen Markt für männliche Bio-Bullenkälber gibt.[1] Gleichwohl lassen sich die vorgeschlagenen Maßnahmen nur bedingt auf den konventionellen Sektor übertragen. Klar ist auch, dass eine einzige Lösung für dieses komplexe Problem nicht existiert und es am Ende wohl eher ein Zusammenspiel unterschiedlicher Instrumente braucht. Hier gilt es nun, im Rahmen erster Modellprojekte Praxiserfahrungen zu sammeln. Im Folgenden sollen mögliche Maßnahmen in den genannten Aktionsfeldern kurz beschrieben werden.

(1) Züchtung

Auf dem 8. Leipziger Tierärztekongress erklärte Prof. Martin Kaske von der Vetsuisse Fakultät Zürich, dass eine Verlängerung der Zwischenkalbzeit aus Sicht der Tiergesundheit, Fertilität und Betriebswirtschaftlichkeit eine sinnvolle Alternative sein kann. Zum einen verlängere sich damit die Lebensdauer einer Milchkuh, zum anderen würden so weniger Bullenkälber geboren. Ein weiterer Baustein könnte in einer Kombination aus Genotypisierung, Spermasexing und Einkreuzung von Fleischrassen bestehen. Aktuell bekommen Landwirte für Bullenkälber aus Mastkreuzungen in Hessen immerhin rund 150 Euro/Kalb.

(2) Haltung und Erzeugung

Eine zu frühe Trennung von Kalb und Mutterkuh ist nicht förderlich für die Tiergesundheit und Entwicklung. Die Entwicklung und Förderung von Kuh-Kalbsystemen könnte in einem geschlossenen Netzwerk zahlreicher kooperierender Betriebe ein möglicher Ansatzpunkt sein, wie die Bruderkalb-Initiative Hohenlohe zeigt. Hier werden die Kälber aller teilnehmenden Betriebe nicht über den Viehhandel vermarktet, sondern von einem Mutterkuhbetrieb aufgenommen, der auch die Mast übernimmt. Die Erlöse aus der späteren Vermarktung des Kalbfleisches werden gerecht im Netzwerk aufgeteilt.

[1]   Informationen zu dem Projekt finden sich unter: https://oekolandbauforschung-bw.uni-hohenheim.de/wertkalb_hintergrund. [19.05.2021]. Erste Pilotprojekte laufen derzeit in Ravensburg, Biberach, Hohenlohe und Freiburg.

 

Problemfelder und mögliche Ansätze zur Lösung des Kälberproblems

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Universität Hohenheim
Problemfelder:
Züchtung Haltung & Erzeugung Transport & Verarbeitung Marketing & Handel Verbraucher
Spezialisierung
Milchrassen
Frühe Trennung
Kuh & Kalb
Lange Transportwege
ins Ausland
Zu geringe
Kälberpreise
Billigpreiskultur
Leistungs-
maximierung
Probleme
Tiergesundheit
Mast und Schlachtung
im Ausland
Mangelnde
Regionalität
Geringes Problem-
bewusstsein
Überangebot
Kälber
Zu früher Verkauf
der Kälber
Tierschutz-
probleme
Negative
Imageeffekte
Ablehnung
Milchprodukte
Weniger Kälber artegerechte
Haltungsformen
regionale
Verarbeitung
Regionale Wertschöpfungskonzepte
Veränderte Konsumgewohnheiten
Lösungsansätze:
Zwischenkalbzeit
verlängern
Kuh-Kalb-
Systeme
Aufklärung &
Sensibilisierung
Spermasexing
Geno-
typisierung
„Bruder-Kalb-
Initiativen“
Kommunikation
Regionalität
Tierwohl
Bessere
Fleischleistung
Regionale Aufzucht Kooperation
Vermarktungspartner
Kreuzungen
Zweinutzungsrassen
Regionales
Verkaufslabel
Zuchtwert
Mastleistung
Mlichrassen

 

(3) Transport und Verarbeitung

Mit der Aufzucht und Kälbermast auf kooperierenden Mutterkuhbetrieben innerhalb eines Netzwerks könnten lange Viehtransporte und die Mast bzw. Schlachtung im Ausland vermieden werden. Wenn schließlich noch die Verarbeitung durch regionale Metzger erfolgt, kann ein neuer Absatzmarkt entstehen, der die Beziehung im ländlichen Raum zwischen Bauern, Metzgern und Kunden neu belebt.

(4) Marketing und Handel

Für die Milchbauern ist die Kälberaufzucht aktuell zumeist ein Verlustgeschäft, das den Deckungsbeitrag der Milchkuh schmälert. Regionale Initiativen zur gemeinsamen kostendeckenden Vermarktung männlicher und weiblicher Kälber könnten für viele Milchviehbetriebe ein weiteres wirtschaftliches Standbein sein. Dazu braucht es jedoch Marketingkonzepte, die den Mehrwert einer besonders artgerechten Kälberaufzucht kommunikationspolitisch vermitteln. Der Bruderkalb-Initiative Hohenlohe gelang dies mit einem eigenen Markenlogo, das die Einhaltung strenger Richtlinien garantiert. Der Aufbau einer regionalen Wertschöpfungskette mit Vermarktungswegen über Hofladen, Metzgerei, Gastronomie und Lebensmitteleinzelhandel könnte ein gangbarer Weg sein.

 (5) Verbraucher

Das Kälberproblem resultiert daraus, dass Kuhmilch zu einem Massenprodukt geworden ist, das im Überfluss zur Verfügung steht und nicht mehr die gebührende Wertschätzung erfährt. Es hat sich also gewissermaßen eine „Billigkultur“ etabliert, die nur durch veränderte Konsumgewohnheiten korrigiert werden kann. Es zeigt sich bereits jetzt, dass die Verbraucher Aspekte wie Tierwohl, Regionalität und Nachhaltigkeit zunehmend in ihre Konsumentscheidungen einbeziehen.

Proaktiv gestalten

Forschung ist immer ergebnisoffen. Einige der hier skizzierten Maßnahmen kommen über ein Nischendasein möglicherweise nicht hinaus. Auch muss geprüft werden, welche dieser Maßnahmen in der konventionellen Milchwirtschaft überhaupt sinnvoll umsetzbar sind. Es gilt nun, Praxiserfahrungen in diesen Bereichen zu sammeln, um die Rinderaufzucht in Zukunft wieder ökonomisch und ethisch nachhaltiger zu gestalten. Der gesellschaftliche Transformationsprozess ist nicht mehr aufzuhalten. Nichts zu tun und auf steigende Marktpreise zu hoffen, wäre eine Defensiv-Strategie, die Chancen ungenutzt lässt und notwendige Anpassungen hinauszögert.