Schafe & Ziegen
Mäh(r) Tierwohl in der Schafhaltung – Schafhaltung auf proaktiven Wegen
Tierartübergreifend stehen zahlreiche Herausforderungen und Veränderungen vor der Haustür: Verbote jener Maßnahmen, denen die sogenannten nicht-kurativen Eingriffe zuzuordnen sind. In der Schafhaltung betrifft dies speziell das Kupieren der Schwänze.
Entgegen bereits geltendem Gesetz (TSchG §5 (3) 4. und §6 (1) 3.) wird dieser Eingriff in vielen Betrieben noch immer standardmäßig durchgeführt. Das Tierwohl-Kompetenzzentrum Schaf möchte die erfolgreiche Haltung unkupierter Schafe in deutschlandweiten Projektbetrieben etablieren und das daraus resultierende Wissen durch Beratung und Bildung beteiligten Zielgruppen zur Verfügung stellen.
Die erfolgreiche Haltung unkupierter Schafe bedarf Veränderungen im Management, einer zielgerichteten Selektion und Zucht kurzschwänziger Tiere sowie einer gesteigerten Akzeptanz. Da Veränderungen für mehr Tierwohl grundsätzlich einem interdisziplinären Ansatz bedürfen, bildete sich das Tierwohl-Kompetenzzentrum Schaf mit Partnern unterschiedlicher Kompetenzen.
Die Praxis setzt um
Deutschlandweit konnten 25 Schäfereien gefunden werden, die sich proaktiv mit dem Kupierverzicht im Rahmen des dreijährigen Projektes auseinandersetzen wollen. Alle Schäfereien betreiben eine Herdbuchzucht mit mindestens 50 Mutterschafen. Der größte Betrieb hält über 2.000 Schafe. Sie sind Dreh- und Angelpunkt für Maßnahmen, die betriebsindividuell mit den Projektpartnern erarbeiten wurden. So gleicht kein Maßnahmenplan dem anderen. Je nach Standort, gehaltener Schafrasse oder technischer Ausstattung konnten die Betriebe auf eine anteilige Förderung durch den Projektgeber zurückgreifen. Somit war es beispielsweise möglich, für ein verbessertes Management, eine intensivierte Tierbeobachtung oder einen tierschonenderen Umgang Investitionen in Sortier- und Fanganlagen, moderne Schertechnik und Digitalisierung zu tätigen. Wie dies alles im Betrieb zusammenwirken kann, zeigt ein im Rahmen des Wissenstransfers erstelltes Video.
Der Verzicht auf das Kupieren des Lämmerschwanzes darf zu keinen negativen Folgen wie Schmerzen, Leiden oder Schäden am Tier (TierSchG § 1) führen. Um Auswirkungen zu überprüfen oder negative Korrelationen zu erkennen, dienen die im Projekt befindlichen Mutterschafe der umfangreichen Datenerhebung durch Tiermedizin und Tierzucht. Fragen zur Erblichkeit der Schwanzlänge, der Leistungsfähigkeit und Gesundheit langschwänziger Schafe sollen durch die Ergebnisse beantwortet werden.
Neben den wissenschaftlichen Untersuchungen setzt die Praxis den Kupierverzicht am Tier seit Projektbeginn um. Begleitet wird dies durch den Austausch mit Experten und Expertinnen während der Netzwerktreffen zweimal im Jahr. Hier werden unter anderem aktuelle Erkenntnisse für ein effektives Parasitenmanagement präsentiert als auch das Gespräch unter den Kolleginnen und Kollegen gefördert. So zeigt sich schnell die Übertragbarkeit von Maßnahmen innerhalb der Praxisbetriebe. Mit fortschreitender Projektlaufzeit wird klar, welche Schertechnik den Test in der Praxis bestanden hat und wie ein sicheres Scheren in Eigenleistung erfolgen kann. Während der Netzwerktreffen wird einer der teilnehmenden Betriebe durch die gesamte Gruppe besucht. Das Zusammenspiel von Tier und Technik wird live vor Ort aufmerksam beobachtet und auf Praxistauglichkeit geprüft; zumeist das Highlight während der zweitägigen Treffen.
Getreu dem Motto „Learning by doing“ erkennen die Teilnehmenden fortwährend Bedarfe in ihren Betrieben. Mit fortschreitender Projektlaufzeit wird auch in diesem Projekt ersichtlich, wie hoch die Nachfrage nach einer tierärztlichen Bestandsbetreuung bei kleinen Wiederkäuern ist. Insbesondere mit Blick auf bestehende und steigende Resistenzproblematiken bei der Parasitenbekämpfung bekommt das Management derer und der gezielte Tierarzneimitteleinsatz einen neuen Schwerpunkt in den Betrieben.
Wissen von innen nach außen transferieren
Neben dem Wissenstransfer für eine überschaubare Gruppe teilnehmender Schäfereien, die sich proaktiv gegenüber den Veränderungen zeigen, gilt es im Verlauf des Projektes weitere Zielgruppen zu erreichen.
Gemäß dem Motto „Aus der Praxis für die Praxis“ werden aus den Teilnehmenden ebenfalls Multiplikatoren. Im Rahmen von gezielten Veranstaltungen bspw. in den Betrieben oder als Referent oder Referentin während Vortragsveranstaltungen berichten sie nun über ihre Tätigkeit im Projekt und die daraus gewonnenen Erfahrungen. Sie können berichten, was im Hinblick auf einen erfolgreichen Kupierverzicht von Nöten ist, was gut funktioniert und was nicht geklappt hat.
Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Betrieben werden in kurzen Videos aufbereitet.
Neben dem ersten Video zur Digitalisierung ergänzen weitere Videos auf dem LLH-YouTube-Kanal die Playlist.
Im Fokus: Auszubildende
Der traditionsbewussten Schafhaltung stehen Veränderungen bevor. Um diese von Grund auf praxisnah zu vermitteln und sie somit zur Umsetzung in der Praxis zu bringen, werden Berufsschulen in den Wissenstransfer eingebunden. Die Berufsschulen bekommen aus dem Projekt heraus die Möglichkeit, Unterrichtsinhalte für Ihre Klassen zu erhalten. Neben der Theorie zur Umsetzung einer Haltung unkupierter Herden sollen Praktikerberichte die Schulstunden bereichern. Durch die Einbindung der jungen Auszubildenden werden sie in Management, Haltung sowie Tiergesundheit und -zucht zeitgemäß ausgebildet. Somit besteht auch die Möglichkeit, dass sie ihren Ausbildungsbetrieben gut geschult zur Seite stehen.
Digitalisierung auf dem Vormarsch
Ein Arbeitsschwerpunkt des Kompetenzzentrums ist ein nachhaltiger Beitrag zur Digitalisierung. In der betrieblichen Beratung fallen umfassende Dokumentationsdefizite auf. Im Vergleich zur Milchkuh- oder Schweinehaltung fehlt es an einer konsequenten Dokumentation, Analysen und deren Interpretation. Mit Blick auf Selektionskriterien wie der Schwanzlänge wird deutlich, dass es ohne eine generationsübergreifende Datenerhebung zu keinem Zuchtfortschritt kommen kann. Leistungsstarke Linien können ebenfalls nur so zugunsten des Betriebes erkannt werden, genauso wie wiederholt auffällige Tiere mit geringer Parasitenresistenz, mangelnder Mütterlichkeit oder auffallend hoher Behandlungshäufigkeit. Nur die Kenntnis über Herde und Einzeltier im Verlauf der Zeit lässt die Chance auf Entscheidung zu. Selektion benötigt Kriterien, die ein neu programmiertes Tool liefern kann. Das Managementtool wird in Anlehnung an das Herdbuchzuchtprogramm OVICAP mit der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL e.V.) und den Vereinigten Informationssystemen Tierhaltung (vit) entwickelt. Es wird allen deutschen schafhaltenden Betrieben über das Projektende hinaus zur Verfügung stehen. Bei Interesse melden Sie sich bei ihren Landesverbänden für Schafzucht.
Vernetzung
Durch das Projekt ergibt sich ein großes Potenzial zur Vernetzung innerhalb der Branche. Nicht nur unter gleichgesinnten Betrieben ergibt sich die Chance zum themenübergreifenden Austausch. Die Präsentation von Technik und Geräten lässt Zusammenarbeit mit den Herstellern entstehen. Im Rahmen der Programmierung eines Managementtools mit der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL) ergibt sich die Teilhabe an der inhaltlichen Gestaltung. Auszubildende erhalten die Möglichkeit, den Kontakt mit Best-Practice-Betrieben fortwährend zu nutzen. Um internationale Erfahrungen von Berufskolleginnen und -kollegen zu erlangen und Kontakte zu knüpfen, konnten die Betriebsleitenden im Juni 2022 nach England reisen. In Malvern findet dort eine der weltweit größten Messen zur Schafhaltung statt. Neben deren Besuch wurden britische Vorreiterbetriebe im Rahmen der Bildungsreise besichtigt, zu denen bis heute Kontakt besteht. Auch Zuchttierimporte entstammen diesen Besuchen. Die Erfahrung zeigt; nicht selten ist das erste Projekt in einem landwirtschaftlichen Betrieb nicht das letzte. Mittels eines breit aufgestellten Expertenbeirates aus der deutschen Schafhaltung, Wissenschaft, Offizialberatung und weiteren Beteiligten wird die Vernetzung auf allen Ebenen gesichert.