Rinder-Haltung
Kälber rechtzeitig und ausreichend mit Kolostrum versorgen
Netzwerk Fokus Tierwohl gibt klare Handlungsempfehlungen
Gesunde Kälber sind die Grundlage einer nachhaltigen Milchkuhhaltung. Da ein Kalb ohne spezifische Immunabwehr geboren wird, erhält es Kolostrum, das Erstgemelk einer Kuh nach der Kalbung. Es weist einen stark erhöhten Anteil an Immunglobulin G (IgG) und weiteren wichtigen Substanzen auf, die das Kalb benötigt. Diese passive Immunisierung beeinflusst den Gesundheitszustand des Kalbes und seine spätere Entwicklung maßgeblich.
Kolostrumversorgung in vielen Betrieben ungenügend
Aus Erfahrung wissen Rinderhaltende, wie wichtig es ist, Kälbern frühzeitig Kolostrum zu verabreichen. Dennoch ist die Erstversorgung der Kälber in vielen Betrieben nach wie vor ungenügend, was sich unter anderem in hohen Krankheits- und Sterblichkeitsraten der Kälber in den ersten Lebenswochen niederschlägt.
Die Arbeitsgruppe „Tränkesysteme in der Kälberhaltung“ des Projekts „Netzwerk Fokus Tierwohl“ im Tierwohl-Kompetenzzentrum Rind hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, mit klaren Forderungen zur Kolostrumversorgung und darauf abgestimmten Fachinformationen die Kälbergesundheit zu verbessern.
Fachleute aus ganz Deutschland – darunter auch Projektpersonal aus dem Beratungsteam Tierhaltung des Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) – trafen sich zwei Jahre lang, um über eine ideale Kolostrumversorgung zu diskutieren. Für landwirtschaftliche Betriebe entwickelten die Experten klare Handlungsempfehlungen, die durch bundesweite Veranstaltungen und die projekteigene Website in die Praxis gelangen.
Menge und Zeitpunkt sind entscheidend
Die frühzeitige Aufnahme des Kolostrums in ausreichender Menge ist Voraussetzung für einen gesunden Start ins Leben. Um dies sicherzustellen, ist eine engmaschige Geburtsüberwachung erforderlich. Generell muss die frühestmögliche Versorgung von Kuh und Kalb einen sehr hohen Stellenwert im gesamten Betriebsmanagement einnehmen.
Das Kolostrum muss unmittelbar nach der Kalbung (innerhalb der ersten Stunde) ermolken werden, weil bereits kurze Zeit nach der Geburt der Gehalt an IgG in der Milch abnimmt. Die Kälber sollten mindestens drei bis vier Liter Kolostrum unmittelbar nach der Geburt (in der ersten Lebensstunde) erhalten. Denn: Direkt nach der Geburt ist der Adrenalinspiegel des Kalbes hoch und es säuft in der Regel gut von alleine. Später kann das Kalb durch den sinkenden Adrenalinspiegel zu „müde“ sein. Die Aufnahme sollte hinsichtlich Menge, Herkunft, Zeitpunkt und Art der Verabreichung umgehend dokumentiert werden.
Nach Zeitpunkt und Menge spielt die Qualität des Kolostrums, vor allem die IgG-Konzentration, ebenfalls eine Rolle. Um die IgG-Konzentration im Kolostrum zu messen, hat sich das Refraktometer bewährt. Es ist leicht zu reinigen und es wird nur eine geringe Menge Kolostrum benötigt. Gutes Kolostrum sollte mehr als 50 g IgG pro Liter enthalten. Dies entspricht einem Brix-Wert von ≥ 22 %. Aber auch mit geringeren IgG-Konzentrationen kann bei einem guten Management eine ausreichende Versorgung der Kälber gewährleistet werden.
Sauberes Gewinnen, Lagern und Vertränken
Hygienisches Arbeiten ist notwendig, da sonst der Keimgehalt steigt, was zu einer verringerten IgG-Aufnahme im Darm des Kalbes führt.
Das erste Risiko für einen Erregereintrag ins Kolostrum ist das Melken. Hier muss unbedingt die gleiche Melkhygiene wie für abgabefähige Milch eingehalten werden:
- Handschuhe anziehen!
- Anrüsten: drei bis vier Strahlen pro Zitze in den Vormelkbecher melken! Dabei auf Veränderungen achten.
- Achtung: Viertel mit Mastitis werden NICHT ins Kolostrum gemolken!
- Zitzen durch sauberes Eutertuch reinigen
- Melken
Nach dem Melken:
- Kontrolle der Euterviertel
- Dippen der Zitzen
- Reinigung und/oder Zwischendesinfektion des Melkzeugs
Lösungsvorschläge zur Reinigung
- Anschluss der Milchkannen an den Melkstand bietet den Vorteil, dass die Reinigung mit der täglichen Routinereinigung der Melkutensilien erfolgt.
- Kleinere Zubehörteile, wie z. B. Nuckelflaschen, können in einer Haushaltsspülmaschine gesäubert werden.
- Für dünne Schläuche und Rohre passende Bürsten verwenden.
Das Kolostrum sollte unter hygienisch einwandfreien Bedingungen ermolken werden, da ein erhöhter Keimbesatz die Wirkung der IgG im Darm deutlich herabsetzt.
Kontrolle der bakteriellen Belastung bei Bestandsproblemen
Treten Gesundheitsstörungen bei den Kälbern als Bestandsproblem auf, kann eine bakteriologische Untersuchung des Kolostrums Aufschluss über mögliche systematische Managementfehler geben.
Lagerung
- Tiefgefrieren:
Das Kolostrum darf bei ≤ – 20 °C für max. ein Jahr (!) tiefgefroren werden. Hierbei beachten, dass eine Beschriftung des Kolostrums und eine regelmäßige Überprüfung der Temperatur des Tiefkühlers erfolgt.
Das portionsweise Einfrieren in Tiefkühlbeuteln, die flach in das Tiefkühlfach gelegt werden, erleichtert das Auftauen. Am Markt gibt es zahlreiche Produktsysteme, die folgende Punkte erfüllen: ausreichendes Volumen, schnelles Auftauen, hygienisches Befüllen und, wenn gewünscht, auch die Möglichkeit zur Pasteurisierung. Das Auftauen sollte bei Temperaturen < 50 °C erfolgen.
- Kühlschranklagerung:
Im Kühlschrank kann Kolostrum für max. 48 Stunden bei ≤ 4 °C gelagert werden. Wichtig auch hier das Beschriften und die wöchentliche Kontrolle der Leistungsfähigkeit des Kühlschranks.
Drenchen
Unter Beachtung des rechtlichen Rahmens wird empfohlen, Kolostrum nur zu drenchen, wenn die nötige Menge von drei bis vier Liter Kolostrum innerhalb der ersten Lebensstunden nicht freiwillig getrunken wird.
Durchführung: Verweis auf den Hoftierarzt bei Fragen und zur Schulung.
Netzwerk Fokus Tierwohl: Praxisnahe Empfehlungen
Das Verbundprojekt „Netzwerk Fokus Tierwohl“ hat das Ziel, den Wissenstransfer in die Praxis zu verbessern, um schweine-, geflügel- und rinderhaltende Betriebe in Deutschland hinsichtlich einer tierwohlgerechten, umweltschonenden und nachhaltigen Nutztierhaltung zukunftsfähig zu machen. Nicht nur die Kolostrumversorgung der Kälber, sondern viele weitere Tierwohl-Themen für Rind, Schwein und Geflügel wurden bereits für die landwirtschaftliche Praxis aufbereitet, wobei der LLH als Verbundpartner maßgeblich unterstützt hat.
Informationen zum Projekt und weiteren Themen finden Sie unter: https://www.fokus-tierwohl.de/de/.