Herdenschutz
Temporärer Herdenschutz: Akutmaßnahmen bei besonders hohem Wolfsdruck
Temporäre Vergrämungsmaßnahmen (Akutmaßnahmen) gegen Wölfe können eine gewisse zusätzliche Abschreckungswirkung im Akutfall haben, wenn z. B. bereits Wolfssichtungen oder gar -übergriffe in unmittelbarer Nähe eines Weideareals registriert worden sind oder für betroffene Betriebe nach einem erfolgten Riss zusätzliche Abwehrmaßnahmen erwogen werden.
Akutmaßnahmen machen den Herdenschutz aufwändiger, können aber kurzfristig zusätzliche Sicherheit für Weidetiere und Haltende bei besonders hohem Wolfsdruck bieten. Wölfe gewöhnen sich jedoch schnell an solche Maßnahmen, sodass die abschreckende Wirkung nach wenigen Tagen des Einsatzes nicht mehr gewährleistet ist, weil keine negativen Auswirkungen für die Wölfe mit diesen Hilfsmitteln verbunden sind. Ein dauerhafter Einsatz ist aufgrund des Gewöhnungseffektes und des zusätzlichen Arbeitsaufwands der Akutmaßnahmen nicht sinnvoll. Die Anwendung von Akutmaßnahmen kann verlängert werden, indem man nacheinander unterschiedliche Maßnahmen durchführt. So wird der Gewöhnungseffekt verringert.Akutmaßnahmen können das Risiko für die Weidetierherden für einige Tage reduzieren, um so z.B. die Zeit bis zur Umsetzung von neuen, dauerhaften Abwehrmaßnahmen (z.B. Zaun-Upgrade etc.) besser abzusichern.
Erfolgreiche Wölfe kommen wieder
Wenn Wölfe bei einem Angriff auf Weidetiere erfolgreich sind, kann das ihre Scheu vor weiteren Angriffen verringern. Bei einem zweiten Angriff in derselben Umgebung auf dieselbe Beute können Wölfe die Situation besser einschätzen. Sie fühlen sich durch die positive Erfahrung beim ersten Mal womöglich sicherer und schätzen die Gefahren für sich selbst geringer ein als bei der ersten Attacke. Akutmaßnahmen funktionieren in der Regel dadurch, dass sie die Weideflächen für die Wölfe auffällig verändern. Diese Veränderungen beanspruchen die Sinnesorgane der Wölfe und verunsichern sie aufgrund der unbekannten Situation. Diese Unsicherheit kann Wölfe für eine Weile davon abhalten, erneut Weidetiere anzugreifen, weil sie das Risiko durch die neuen Maßnahmen noch nicht richtig einschätzen können.
Gegen positive Gewöhnung arbeiten
Im Akutfall sollte grundsätzlich erwogen werden, ob die Weidetiere kurzfristig aus der gefährdeten Region verbracht werden können. Wölfe, die erfolgreich Beute in Weidetierherden gemacht haben, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Beutezüge unternehmen. Das ist aus Sicht der Prädatoren opportun. Oft lassen Wölfe nach Übergriffen auf Weidetiere ganze Kadaver oder Kadaverteile zurück. Wenn sie wieder hungrig werden, kehren sie an den Ort des Geschehens zurück, um die Restbeute weiter zu nutzen. Das ist einfacher und weniger riskant, als neue Beute zu reißen. Wölfe können auch Aas verwerten. Diese Verhaltensweisen gehören zum natürlichen Verhaltensspektrum der Spezies.
Akutmaßnahmen rechtzeitig vorbereiten
Interessierte Weidehalterinnen und -halter sollten sich frühzeitig über Akutmaßnahmen informieren. Zum einen ist die kurzfristige Beschaffung der Ausrüstung unter Umständen mit einigen Problemen verbunden (Lieferschwierigkeiten im Bedarfsfall) und zum anderen sollten die Maßnahmen in ihrer Wirkung auf die Weidetiere möglichst vorab getestet werden. Die Weidetiere sollten im Akutfall keine große Scheu oder gar Fluchtreaktionen bezüglich der Maßnahmen zeigen. Weiterhin ist es im Akutfall leichter, die Maßnahmen schnell umzusetzen, wenn die Tierhaltenden darin geübt sind.
Wölfe irritieren mit allen Sinnen
Grundsätzlich haben sich verschiedene Akutmaßnahmen bewährt, die die Sinne der Wölfe auf unterschiedliche Weise reizen können. Oft stellt sich die Frage, was verfügbar und schnell umsetzbar ist. Weitverbreitet sind Materialien und Geräte, die die Wölfe akustisch, optisch oder auch kombiniert reizen. Vorteilhaft ist es, wenn sich die Reizsituation für die Wölfe nicht einfach einschätzen lässt. Strahler, die sich sensorgesteuert nur dann einschalten, wenn sich ihnen ein Tier nähert, irritieren stärker als eine permanente Beleuchtung auf den Weideflächen. Auch das plötzliche Blenden der Augen der Angreifer kann abschrecken. Dadurch wird ihr Sehvermögen kurzzeitig herabgesetzt.
Flatterbänder und Plastikstreifen rascheln nur bei entsprechender Luftbewegung und dann auch nicht immer gleich, dafür wirken sie bei Windstille lediglich optisch. Auch zeitweilig mittels Halsbandes an den Weidetieren angebrachte Glöckchen können die Wölfe durch ihr Gebimmel fernhalten. Eine ähnliche Wirkung sollen eingeschaltete Radios auf Weideflächen erzeugen. Das Ausbringen von stark duftenden Substanzen, die in der Umwelt eher ungewöhnlich sind, kann temporär eine vergrämende Wirkung auf Wölfe bewirken.
Je nach Weidesituation kann die eine oder die andere Maßnahme besser wirken, um Angriffe zu verhindern. So stoßen optische Maßnahmen in der Nähe von Siedlungsräumen eher auf Akzeptanz bei Anwohnenden als akustisch wirkende (Ausnahme Ultraschall-Geräte). Blendende Scheinwerfer kommen dem gegenüber aufgrund einer möglichen Unfallgefahr in der Nähe von Verkehrswegen unter Umständen nicht in Frage.
Grundsätzliches
Alle Akutmaßnahmen unterliegen der Gewöhnung bei Weide- und bei Wildtieren. Gewissenhaft sollte beobachtet werden, wie sich die Maßnahmen auf die Weidetiere auswirken. Testphasen unter verstärkter Beobachtung der Herden sind ratsam. Die Weidetiere sollen durch die Akutmaßnahmen nicht beunruhigt werden. Wo immer möglich, sollten Akutmaßnahmen kombiniert oder auch abwechselnd eingesetzt werden, um den Gewöhnungseffekt bei den Wölfen hinauszuzögern.
„Flatterbänder“ und Breitbandlitze
Zaunerhöhung durch „Flatterbänder“ oder Breitbandlitze. Unter Flatterbändern versteht man Kunststoffbänder, wie z. B. Baustellenabsperrband, die sich im Wind bewegen und auch raschelnde Geräusche verursachen können. Breitbandlitzen, wie sie auf Pferdeweiden als Elektrozaun-Leitermaterial vorzugsweise eingesetzt werden, wirken ähnlich. Wie Flatterbänder funktionieren sie rein auf optische Weise und haben eine ähnliche Wirkung auf Wölfe, auch ohne eine anliegende elektrische Spannung. Auf geeignete Weise werden je nach Zaunsituation die horizontalen Bänder gut sichtbar am oberen Ende des Zaunes angebracht. Unter Umständen müssen dafür längere Zaunpfähle oder Pfahlverlängerungen eingesetzt werden. Durch diese beweglichen Bänder oben am Zaun werden Wölfe und Hunde dabei irritiert, das Überspringen zu wagen. Sie können diese bewegliche obere Zaunabgrenzung nicht gut einschätzen. Hierbei ist eine Elektrifizierung dieser Bänder oben am Zaun von geringerer Bedeutung für die Herdenschutzwirkung. Die Abschreckung funktioniert vor allem als visuelle Störung. Abschnitte von Baustellenabsperrband oder ähnlichem Material (auch aufgehängte Plastiktüten) können in Streifen von 50 bis 100 cm Länge in das vorhandene Zaunmaterial entlang der Zaunlinie eingeknotet werden. Dadurch werden die Wölfe ebenfalls irritiert. Als weitere Variante können Flatterbandstreifen an zusätzlichen Mobilzaunpfählen befestigt werden, die außen vor dem eigentlichen Weidezaun ähnlich wie „Vogelscheuchen“ aufgestellt werden.Auch andere Wildtiere wie Schalenwild reagieren irritiert auf Flatterbänder und Breitbandlitzen. Das führt dazu, dass sie sich diesen Weidezäunen vorsichtiger nähern und diese besser als Barriere erkennen. Blau-weiße Flatterbänder sollen für Wildtiere besser sichtbar sein als rot-weiße.
Lappzaun und „Turbo Fladry“
Lappzäune sind seit vielen Jahrhunderten bekannt. Sie bestehen aus Schnüren, Drähten oder Seilen, an denen im Abstand von bis zu einem Meter Lappen, Fetzen oder Streifen aus Textil- sowie heute auch aus Kunststofffolien befestigt werden. Die Schnüre werden dann horizontal auf Augenhöhe der adressierten Tiere an Zaunpfählen aufgespannt. Lappzäune wirken durch die beweglichen Lappen ähnlich wie Flatterband im Zaun. Durch die geringen Abstände der Lappen wirken Lappzäune auf viele Tiere als optische Barriere, durch die sie vom Passieren der Zaunlinie abgehalten werden. Früher wurden solche Zäune bei der „Lappjagd“ benutzt, um Wildtiere in eine befestigte Kesselanlage zu treiben. Dort konnte man ihnen besser habhaft werden, sie erlegen, separieren oder auch nur zählen. Diese Lappzäune entfalten ihre Wirkung auch auf Wölfe. Allerdings lernen die Tiere durch häufigeren Kontakt, dass von den Lappen keine wirkliche Gefahr ausgeht, wodurch die abschreckende Wirkung nachlässt. Daneben sind die bunten Lappzäune wie auch die Flatterbänder sehr störend für erholungssuchende Menschen anzusehen und passen nicht ins gewohnte Landschaftsbild. „Turbo Fladry“ ist ein Handelsname und steht für eine Kombination aus herkömmlicher Elektrozaunlitze und Lappzaun. Beim Herstellungsprozess der Litze werden im Abstand von 0,3 bis 1,0 Metern zusätzlich bunte, nicht leitende Kunststoffstreifen dauerhaft an der Litze befestigt. Turbo Fladry-Litzen ersetzen je eine herkömmliche Litze am Weidezaun und werden wie herkömmliche Litzen am Zaunpfahl befestigt. In der Regel können dabei die vorhandenen Isolatoren verwendet werden. Für die wolfsabweisende Wirkung reichen ein bis zwei Turbo Fladry-Litzen am Weidezaun aus. Sie werden ebenfalls an das Weidezaungerät angeschlossen. Die übrigen horizontalen Leiterbahnen am Elektrozaun bleiben erhalten. Eine Turbo Fladry-Litze kann auch mittels zusätzlicher Zaunpfähle als einfacher Elektrozaun vor den bestehenden Weidezaun gestellt werden. So entsteht ein elektrifizierter Doppelzaun.Doppelzaun schafft größere Barriere
Ein Doppelzaun um eine Weidekoppel oder um einen wolfsabweisenden Nachtpferch bietet grundsätzlich eine bessere wolfsabweisende Wirkung als ein vergleichbar gestalteter Einzelzaun. Dabei sollte zumindest einer der beiden Zäune, vorzugsweise der äußere ein Elektrozaun sein. Die Zaunlinien werden in einem Abstand zwischen 0,7 und 1,50 Metern voneinander errichtet. Beide Zäune müssen für die Wölfe gut als Barriere erkennbar sein.
Wölfe sind auf dem Weg zu den Weidetieren durch Doppelzäune gleich mit zwei Barrieren konfrontiert, wobei sie die Barriere, die den Weidetieren zugewandt ist, nicht direkt untersuchen können. Die verunsichernde Wirkung ist beim Doppelzaun größer als bei vergleichbaren Einzelzäunen. Der zusätzliche Zaun wird in der Regel als elektrifizierter Mobilzaun ausgeführt. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob er einen mobilen oder einen stationären Zaun ergänzt.
Das Material für eine doppelte Zaunanlage ist im Akutfall häufig bereits im Betrieb vorhanden und kann kurzfristig bei Bedarf eingesetzt werden. Ein Doppelzaun hält die Angreifer zunächst auf größere Distanz von den Weidetieren. Dadurch gelingt es den Wölfen nicht so leicht, die Herde in Panik zu versetzen und zum Ausbruch aus dem abweisenden Weidezaun zu provozieren. Doppelzäune sind auch eine weitreichendere Barriere für Tiere mit Motivation zum Überspringen.
Der Arbeitsaufwand für den doppelten Weidezaun ist jedoch hoch. Dafür ist die Gewöhnung der Wölfe an die zusätzliche Maßnahme eher als geringer einzuschätzen. Der Doppelzaun benötigt auch mehr Standfläche auf der Weide, verringert zusätzlich deren Gesamtfläche und muss gegebenenfalls ausgemäht werden. Unter Umständen muss bei optionaler Anwendung mehr geeignetes Zaunmaterial im Weidebetrieb vorgehalten werden. Doppelzäune werden auch zum Errichten besonders sicherer Nachtpferche eingesetzt.
Stoppzaun „bremst“ Wölfe
Ein Stoppzaun soll aufgrund seiner Gestaltung verhindern, dass Wölfe Weidekoppeln und Nachtpferche in hohem Tempo in geringem Abstand umrunden können, um so die Weidetiere in Panik zu versetzten und zum Ausbruch zu provozieren. Dafür werden die Ecken der Zaunanlage mit besonderen „Zaun-Ausläufern“ ausgestattet. Vom Weidezaun weg gerichtet werden kürzere Zaunelemente aufgebaut. Diese Ausläufer behindern die Wölfe bei dem Versuch, an der Zaunaußenseite entlang zu rasen. Sie müssen an diesen Barrieren immer wieder abbremsen und sie aufwändig umlaufen.Stoppzäune eignen sich gut, um mobile Nachpferche sicherer zu machen. Wenn die Schafe wegen des geringen Platzangebots im Pferch nicht großzügig zurückweichen können, lernen Wölfe schnell, wie sie die Herde zum Ausbruch bringen können, indem sie außen eng am Zaun anfangen, die Schafe zu hetzen.
Die zusätzlich aufzustellenden „Ausläufer“ in den Zaunecken bedeuten mehr Material- und Arbeitsaufwand für Tierhaltende. Aus diesen Gründen wird empfohlen, diese Akutmaßnahmen lediglich kurzzeitig einzusetzen.
Blinklichter, Foxlights, LED-Strahler mit Bewegungssensor
Im Handel sind inzwischen einige Produkte zu finden, die die Wölfe durch zusätzliche Lichtquellen irritieren sollen. Häufig sind sie mit einem Bewegungssensor kombiniert und werden nur dann aktiviert, wenn der Sensor eine Bewegung im Erfassungsbereich detektiert. Dadurch wird die Lichtquelle eingeschaltet und nach gewisser Zeit wieder abgeschaltet. Hierdurch wird der Gewöhnungseffekt hinausgezögert und der Energiebedarf der Geräte ist geringer. Manche Herdenschutz-Lampen sind mit akustischen Warnsignalgebern kombiniert. Je nach Hersteller, Modell und Ausstattung werden Preise von unter 10 bis knapp 200 Euro pro Stück fällig. Doch selten reicht nur ein Gerät aus, um Wölfe von der Weidefläche oder vom Nachtpferch sicher fernzuhalten. Die Warnsignale müssen für die Wölfe gut wahrnehmbar sein. Dabei sind die Empfehlungen der Hersteller zu beachten. Einige Verwaltungsstellen stellen solche und weitere Herdenschutzgeräte in begrenzter Stückzahl für besonders gefährdete Weidetierhaltende, z.B. nach erfolgtem Übergriff, als Leihgabe zur Verfügung.Das „Foxlight“ (Handelsname) ist in der Nacht permanent eingeschaltet und sendet in ungleichmäßiger Taktung und in wechselnden Farben rundum Lichtreize aus und soll dadurch laut Hersteller die Aktivität von Menschen auf der Weidefläche simulieren. Die LEDs beziehen ihre Energie aus einer Einwegbatterie oder aus einem Akku, gekoppelt mit Solarzellen.
Je nach Funktion werden die Strahler nach außen gerichtet, in der Nähe oder direkt am Weidezaun befestigt. Foxlights werden auch innerhalb der Weidefläche auf einem exponierten Standort empfohlen oder an den bevorzugten Ruheplätzen der Weidetiere.
Alle Strahler, Blinklichter und Signalsirenen benötigen eine Energieversorgung. Je nach Modell benötigen sie Einwegbatterien, haben einen eingebauten Akku, teilweise mit Solarpanel oder nutzen die elektrische Spannung im Elektrozaun.
Vor einer Nutzung muss grundsätzlich abgeschätzt werden, ob der Einsatz die Weidetierherde, andere Wildtiere oder auch Anwohnende sowie Passantinnen und Passanten in relevantem Umfang stören könnte.
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