Saatgutanerkennung
Niedrigere Erntemengen als in den Vorjahren
Erntegespräch des LLH ließ das Anbaujahr Revue passieren
Wie haben sich die Witterung und andere Einflüsse auf die Ernte ausgewirkt? Welche Sorten dominierten in diesem Jahr den Anbau in Hessen? Diese und weitere Fragen wurden beim alljährlichen Erntegespräch, zu dem Ende August der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) eingeladen hatte, erörtert. In der ALB Halle am Landwirtschaftszentrum Eichhof bei Bad Hersfeld begrüßte Gabriele Käufler, Leiterin der Anerkennungsstelle für Saat- und Pflanzgut, die rund 30 Teilnehmenden aus Praxis, Handel, Beratung und Agrarverwaltung. Der LLH hatte Referentinnen und Referenten rund um das Thema Besondere Ernte- und Qualitätsermittlung (BEE) eingeladen.
Das „Wie, Was und Warum“ der BEE
Jörg Führer vom Hessischen Statistischen Landesamt (HSL) erläuterte die gesetzliche Grundlage, auf der jährlich die BEE durchgeführt wird, nämlich das Agrarstatistikgesetz. Er gab tiefere Einblicke in die statistischen Auswertungen der erhobenen Daten sowie die Methodik, welche bei Auswahl der Betriebe, Probenanzahlen und Probennahme zum Einsatz kommt. Dadurch wurde ersichtlich, dass die BEE und weitere Erhebungen ein komplexes System sind, bei dem viele unterschiedliche Akteure zusammenarbeiten müssen, um für Hessen jedes Jahr aufs Neue repräsentative Aussagen zu Erträgen und Erntemengen im Winterweizen, Wintergerste, Winterroggen und Winterraps zu ermitteln.
Die BEE 2024
Die „praktische“ Durchführung der BEE – sprich die Probenahme – liegt im Verantwortungsbereich des LLH und der landwirtschaftlichen Fachdienste in den jeweiligen Landkreisverwaltungen. Für diese berichtete Philipp Graf vom LLH über die BEE Saison 2024. Im Vergleich zum verregneten Sommer 2023 lagen in diesem Jahr zum Zeitpunkt des Erntegesprächs deutlich mehr Proben vor, die in die Hochrechnungen für die vorläufige Erntestatistik miteinbezogen werden konnten. Trotz der Problematik, dass Mitte Juni im Landkreis Groß-Gerau die Afrikanische Schweinepest (ASP) aufgetreten ist, konnte die Ernte nach vorherigem Drohnenüberflug der zu erntenden Flächen weitestgehend ungestört erfolgen. Durch die ASP fielen von 505 Gesamtproben über die o.g. 4 Kulturen hinweg nur insgesamt 11 Proben aus.
Das Wetter als großer Ertragsfaktor
Die Witterung beeinträchtigte in diesem Jahr Qualitäten und Erträge noch stärker als im Vorjahr. So fielen die Erntemengen für alle untersuchten Kulturen geringer als in 2023 aus und lagen auch unter dem Fünfjahresdurchschnitt (2018-2023). Standorte mit besseren Böden, die mehr Wasser speichern können, hatten nach dem regenreichen Frühjahr mit Übersättigung und Staunässe zu kämpfen. Sie brachten nicht die erwartbaren Erträge, während Böden mit geringerer Wasserspeicherkapazität relativ besser abschnitten. Außerdem gab es im April regionale Rekorde bei Höchst- und Tiefsttemperaturen (-8,8 °C bis zu +30,1 °C) mit örtlichem Schneefall Ende April in der Rapsblüte. Der April war mit 10,8 °C Durchschnittstemperatur zudem um 3,1 °C wärmer als in der Referenzperiode 1961 bis 1990.
Keine Überraschungen bei den verwendeten Sorten
Bei der Sortenwahl vertrauten die beprobten Betriebe überwiegend auf bekannte Sorten. So wurde die schon einige Jahre verfügbare A-Weizensorte RGT Reform mit 17,3 % Anbauumfang am meisten angebaut. Knapp dahinter lag mit 15,4 % die Sorte Chevignon. Beim Anbau von Wintergerste lag die Sorte KWS Meridian mit 13,6 % der beprobten Felder knapp vor den eng beieinander liegenden Sorten Julia und KWS Orbit. Nahezu konkurrenzlos, mit über 51,1 % Anteil wurde im Roggen die Sorte KWS Tayo angebaut. Im Rapsanbau wurde die Sorte Ambassador mit 25 % Anteil am meisten angebaut. KWS Ernesto folgte auf Platz 2 mit 15,6 %. Der Einsatz von anerkanntem Saatgut stieg im Vergleich zum Vorjahr bei Weizen stark von 48,4 % auf einen Anteil von 63,4 % an. Der Roggen stieg von 86,4 % schwach auf 88 % an. Gerste fiel leicht von 58,5 % auf 56,4 % ab.
Qualität des Backweizen
Bei der BEE steht nicht nur die Erntemenge, sondern auch die Qualität der geernteten Ware im Fokus. Dr. Alexandra Hüsken vom Max-Rubner-Institut (MRI) mit Sitz in Detmold berichtete über die Qualitäten im Winterweizen. Da für das aktuelle Erntejahr noch keine Ergebnisse vorliegen, ging sie auf die Vorjahreszahlen ein. Die indirekten Parameter der Backqualität setzen sich aus der Proteinquantität (Rohproteingehalt), der Proteinqualität (Sedimentationswert) und der Stärkebeschaffenheit (Fallzahl) zusammen. Der verregnete Sommer wirkte sich auf diese Parameter aus. 30,2 % der Weizenproben im Bundesgebiet hatten eine Fallzahl von unter 220 Sekunden. Im sechsjährigen Mittel waren es nur 5,6 %, die diesen Grenzwert unterschritten hatten. Der Fallzahldurchschnitt im Bundesgebiet im sechsjährigen Mittel von 2017 bis 2022 lag bei 339 Sekunden. 2023 waren es 248 Sekunden. Ähnlich verhalten sich der Sedimentationswert und der Rohproteingehalt. Der Sedimentationswert im sechsjährigen Mittel fällt von 45 ml in 2023 auf 38 ml. Der Rohproteingehalt im sechsjährigen Mittel liegt bei 12,6 %, in 2023 waren es 11,9 %. Aktuell gibt es überwiegend negative Abweichungen von den langjährigen Mittelwerten seit 1995. Der Trend zu vermehrten und stärkeren negativen Ertrags- und Proteinausschlägen ist signifikant.
Anerkannte Saatgutvermehrung in Hessen
Da das Thema Sortenwahl durch den Klimawandel, einen erhöhten Krankheitsdruck und die Qualitätsanforderungen zunehmend wichtiger wird, stellt sich hier die Frage nach der Verfügbarkeit von Saatgut für die Aussaat 2024. Gabriele Käufler erläuterte, dass nur anerkanntes (= zertifiziertes) Saatgut in den Verkehr gebracht werden könne. Jede einzelne Saatgutvermehrungsfläche werde bei der amtlichen Feldbestandsprüfung auf die Einhaltung der gesetzlich geforderten Normen geprüft. Zur Versorgung mit Saatgut für 2024 gab sie folgenden Ausblick: Bei Winterweizen, Wintergerste und Sommergetreide stieg der Vermehrungsumfang in Hessen an. Dinkel war etwas rückläufig, hier wird in Hessen insbesondere Vorstufen- und Basisvermehrung im größeren Umfang betrieben. Bei Körnerleguminosen wurden die Vermehrungsflächen ausgedehnt, während sie bei Kartoffeln und Gräsern abnahmen. Im Allgemeinen nahm die Vielfalt der in Hessen vermehrten Kulturen zu. Bei der Anerkennungsstelle für Saat- und Pflanzgut wurden in diesem Jahr insgesamt rund 4000 ha Vermehrungsflächen angemeldet.
Versuch macht klug
Um einschätzen zu können, welche Sorte für den jeweiligen Standort geeignet ist, gibt es die Landessortenversuche (LSV). Hier werden hessenweit an verschiedenen Standorten ausgewählte Sorten über den gesamten Wachstumsverlauf bonitiert und auf Krankheitsanfälligkeit und Ertragsparameter untersucht. Cecilia Hüppe, LLH, zeigte eindrucksvoll, wie sich einzelne Sorten derselben Art in ihrer Morphologie, aber auch in der Krankheitsanfälligkeit und Ertragsleistung voneinander unterschieden. In den LSV werden alle Sorten auch in der unbehandelten Variante, d. h. ohne Fungizideinsatz, geprüft. Dies ermöglicht den direkten Vergleich von gesunden und kranken Sorten und dem Ernteverlust, welcher durch das Ausbleiben von Anwendungen mit Pflanzenschutzmitteln entstehen kann. Gesunde Sorten ermöglichen Einsparungen bei den Produktionsmitteln und benötigen weniger Beobachtungsaufwand.
Zu den einzelnen Vorträgen fanden unter den Teilnehmenden angeregte Diskussionen zum Thema Klimawandel im Allgemeinen und zu den Auswirkungen des überdurchschnittlich nassen Anbaujahrs 2023/2024 im Besonderen statt. Weiteres Thema war die immer anspruchsvoller werdende Erzeugung von Qualitätsweizen. Aus Sicht von Dr. Hüsken eine Aufgabe, der sich die gesamte Wertschöpfungskette (Züchtung – Anbau – Verarbeitung – Konsumenten) widmen muss.
Video: Landessortenversuche für eine vielfältige und nachhaltige Landwirtschaft