Pflanzenschutz
Nachlese zum Vortrag: „Satt werden ohne Glyphosat & Gentechnik?“
Wie werden wir künftig satt – ohne Glyphosat, Gentechnik und Kunstdünger? Diese Frage stand während der Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen 2024 im Fokus der Veranstaltung der Hessischen Landjugend.
Einschätzungen und Denkanstöße rund um Landwirtschaft und Nachhaltigkeit lieferte der von Hessens Junglandwirten eingeladene Referent Timo Küntzle. In einer Getreide- und Milchbauernfamilie in Baden-Württemberg aufgewachsen, beschäftigen den Agrarwissenschaftler und Fachjournalisten grundlegend die Zielkonflikte zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz. Die Zusammenhänge zwischen Lebensmittelproduktion, Klima, Biodiversität und weiteren Nachhaltigkeitsaspekten hat Timo Küntzle bereits in seinem 2022 erschienenen Buch „Landverstand“ beleuchtet.
Häufig Schwarz-Weiß-Denken gegenüber der Landwirtschaft
In der Stadthalle Baunatal hob Küntzle zunächst hervor, dass aus seiner Sicht im öffentlichen Diskurs eine Art Schwarz-Weiß-Denken gegenüber der Landwirtschaft vorherrsche. Mit Blick auf die ökologische sowie die konventionelle Landwirtschaft erläuterte der Autor: „Die Vorstellung, es gibt einerseits nur die gesunde Landwirtschaft und die andere vergiftet uns, versuche ich in meinem Buch gezielt zu hinterfragen.“ Küntzles Auffassung nach bringe, ökologisch – und im globalen Kontext – gesehen, jede Form von Landwirtschaft negative Begleiterscheinungen mit sich. Gleichzeitig müssten angesichts der Welternährung aber die enormen Leistungen betrachtet werden, welche die Landwirtschaft bei stetig wachsenden Bevölkerungszahlen in den vergangenen Jahrzehnten erbracht habe. Kurz: Politisch und gesellschaftlich gesetzte Ziele im Hinblick auf Klimawirkung, Biodiversitätsförderung und Tierwohlaspekte sind nicht kombinierbar mit dem, was von der Landwirtschaft grundlegend gefordert wird. Ferner müsse laut Küntzle nicht ausschließlich die Landwirtschaft Betrachtung finden, sondern das gesamte Ernährungssystem. Er bezog sich auf die vegane Ernährung, die das größte technische Potenzial zur Emissionsreduktion habe und verdeutlichte: „Wissenschaftlich gesehen sollte der Fleischkonsum global jedenfalls gemäßigt werden.
Konventionelle Landwirtschaft – „besser als dargestellt“
Während die sogenannte intensive Landwirtschaft Gegenstand öffentlicher Kritik ist, erachtet Timo Küntzle diese nicht als negativ. An vielen Stellen habe der Weltklimarat (IPCC) bereits zum Ausdruck gebracht, dass die Landwirtschaft eine nachhaltige Intensivierung brauche. Küntzle betonte dementsprechend, dass die Landwirtschaft in Zukunft mehr produzieren, im globalen Kontext gesehen aber auch nachhaltiger werden müsse und dabei negative Umwelteffekte – die es unbestrittener Maßen gäbe – möglichst zurückschrauben müsse. Hinsichtlich der Auswirkungen auf das Klima werde, so der Referent, der intensiven Landwirtschaft oft die Schuld zugewiesen. Dies spiegele insofern aber eine verzerrte Wahrnehmung wider, da eine rein extensive Landwirtschaft die vorherrschenden Herausforderungen nicht lösen, sondern verschlimmern würde. Beispielhaft bezog sich der Referent auf das Thema Landnutzung: Denn um den gleichen Ertrag wie der konventionelle Landbau zu erzielen, benötige es für eine extensive Bewirtschaftung deutlich mehr landwirtschaftliche Fläche. Aus Küntzles Sicht braucht es in Zukunft beides – einerseits eine Reduktion negativer Umwelteffekte und gleichzeitig intensive Formen der Landwirtschaft.
Extensive Landwirtschaft sei, so Küntzle weiter, daher nicht als „Allheilmittel“ zu begreifen und bei wachsender Weltbevölkerung keine Alternative. So könne flächendeckend nicht überall extensiv gewirtschaftet werden, da kleinere Produktmengen durch Lebensmittelimporte aus dem Ausland ausgeglichen werden müssten. In der Folge würden dort etwa wieder zusätzlich Regenwälder gerodet werden, was schädlich für das Klima wäre. Küntzle plädierte somit für die Inlandserzeugung und Weiterentwicklung der heimischen Landwirtschaft.
Mögliche Werkzeuge einer modernen Landwirtschaft?
Darüber hinaus nannte der Agraringenieur verschiedene potenzielle Lösungsansätze, um Landwirtschaft nachhaltiger betreiben zu können. Er verdeutlichte: Es gäbe kein Thema, bei welchem Gesellschaft und politischer Diskurs so weit von der Wissenschaft entfernt seien, wie die Gentechnik. Er sprach sich für eine Versachlichung der Diskussion aus. Auf europäischer Ebene würden aktuell neue Züchtungstechniken diskutiert, die Küntzle zufolge dazu beitragen könnten, Nutzpflanzen gegenüber Schädlingen und Krankheiten resistenter zu machen. Beispielsweise könne die CRISPR-Technologie für die Genom-Editierung die Landwirtschaft nachhaltiger machen.
Weitere Möglichkeiten lägen in der Digitalisierung, mit deren Hilfe man Pflanzenschutzmittel und Dünger besser dosieren und punktgenauer ausbringen könne. Hier bezog sich der Referent auf das Paracelsus-Prinzip: „Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei.“ Im Pflanzenschutz gäbe es generell viele Missverständnisse, mitunter, dass Pestizide eine ausschließlich wissenschaftliche Erfindung sind. Anhand des Beispiels „Koffein“ nannte Timo Küntzle einen pflanzeneigenen Stoff, der im Boden gegen Schaderreger wirke.
Nach der Podiumsdiskussion, die sich dem Vortrag anschloss, fasste der Referent zusammen: Es gelte alle Licht- und Schattenseiten der Technik abzuwägen, wenn man einer Gesamtlösung nachgekommen will. Während die ökologische Landwirtschaft ertragreicher werden müsse, müsse die konventionelle Landwirtschaft ökologischer werden – beide Praktiken hätten ihr Gutes und das müsse zusammengeführt werden.