Geflügel
Gefiederzustand verrät viel über Verhaltensstörungen
Federpicken und Kannibalismus sind bei Legehennen weltweit bekannte Verhaltensstörungen, die zu Leistungseinbußen und erhöhter Mortalität führen können.
Für das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte Modell- & Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz wurden 21 Herden, ökologische Haltung (8 Herden); Freilandhaltung (7 Herden) und Bodenhaltung (6 Herden), intensiv betreut und beraten. Insgesamt nahmen 240.000 Hennen am Projekt teil. Durch zahlreiche Betriebsbesuche wurden Erfahrungen und Erkenntnisse darüber gewonnen, welche Faktoren eine Verhaltensstörung wie „Federpicken oder Kannibalismus“ begünstigen. Maßnahmen, die Verhaltensstörungen vorbeugen oder minimieren wurden erarbeitet und auf den Praxisbetrieben erprobt. Die Auslöser für Federpicken und Kannibalismus sind äußerst vielseitig und der Begriff „multifaktoriell“ taucht in diesem Zusammenhang häufig auf (siehe Abbildung 1). Bei Problemen auf Betrieben muss individuell hingeschaut werden, um die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.
Betreuungsaufwand ist hoch und gehört dazu
Hinsichtlich der täglichen Tierbetreuung ist ein intensiver Betreuungsaufwand nötig. Bereits kleine Anzeichen wie Nervosität oder beginnendes Picken am Stoßansatz sind Hinweisgeber dafür, dass möglicherweise im Management etwas schief gegangen ist (z.B. ein zu geringer NaCl-Gehalt) oder ein Krankheitsgeschehen (z.B. Schwarzkopfkrankheit / IB-QX) kündigt sich an. Eine durch Stress ausgelöste Verhaltensstörung kann bereits nach wenigen Tagen im Verhaltensmuster der Hühner so stark verankert sein, dass sie nie mehr richtig zum Erliegen kommt. Generell kann die Aussage getroffen werden, je mehr Federn das Tier bereits durch die Verhaltensstörung Federpicken verloren hat, desto wahrscheinlicher befinden sich auf der freiliegenden Hautpartie kleine aber auch größere Verletzungen, die im schlimmsten Fall zu Kannibalismus führen können. Beginnende Verhaltensstörungen können nur dann gestoppt oder minimiert werden, wenn sie rechtzeitig erkannt werden (Abb. 2). Dann kann die Ursachenforschung beginnen und gezielt mit Maßnahmen (Futterwechsel, Lichtreduktion, Milbenbekämpfung, etc.) gehandelt werden.
Gefiederschäden erkennen und unterscheiden
Im Folgenden werden unterschiedliche Gefiederschäden näher erläutert. Vorerst werden Gefiederschäden aufgezeigt, die nicht durch die Verhaltensstörung „Federpicken“ verursacht werden.
Gefiederschäden, die nicht mit Verhaltensstörungen in Verbindung stehen:
- Federn fehlen am Kopf
- Halsmauser
- mechanischer Abrieb
- Stress- oder Hungerlinien
Wenn bei Hennen Federn am Kopf (hinter dem Kamm) fehlen geschieht dieses durch Dominanzverhalten. Das Dominanzverhalten gehört zum normalen Verhaltensrepertoire von Hennen und ist keine Verhaltensstörung. Dabei treffen Artgenossen mit starken Pickschlägen gezielt auf den Hinterkopf. Wenn dies oft passiert, z.B. bei rangniedrigen Tieren, sind federlose Bereiche am Hinterkopf der Fall. Kahle Bereiche am Hinterkopf können zudem bei Zuchttieren durch den Tretakt auftreten.
Wenn Federn am vorderen Hals gebrochen sind kann ein mechanischer Abrieb durch die Futterkette stattgefunden haben. Wenn Federn am Hals rundherum ausgedünnt sind, ist dies ein Hinweis für eine Stressmauser. Auslöser sind z.B. Nährstoffdefizite oder Stress in der Umstallungs- und Eingewöhnungsphase durch fehlende Abstimmung des Managements mit dem Junghennenaufzüchter. Die Tiere mit einer Halsmauser sitzen tagsüber oft in den oberen Etagen der Voliere und sind im Körpergewicht im Vergleich leichter.
Federbrüche oder Ausfransungen können im Laufe des Durchgangs leicht durch Abrieb u.a. am Haltungssystem entstehen. Sägezähne: Dieses Phänomen wird Stress- oder Hungerlinien genannt. Sie entstehen bereits in der Aufzucht beim Schieben der Federn. Deckfedern weisen kleine, brüchige Linien auf, die wie Sollbruchstellen fungieren. Einzelne Segmente brechen mit der Zeit heraus und lassen die Feder wie ein Sägeblatt aussehen. In jeder Herde sind Hennen mit Stresslinien zu finden. Die Ursachen sind wissenschaftlich noch nicht geklärt.
Die folgenden Bilder verdeutlichen unterschiedlich starke Ausprägungen von der Verhaltensstörung „Federpicken“ bis hin zum Auftreten von „Kannibalismus“. Die Sortierung der Gefiederzustände erfolgt durch ein Boniturschema mit den Noten 0 – 3, das von der „Tierärztlichen Hochschule Hannover“ in Zusammenarbeit mit der „Hochschule Osnabrück“ entwickelt und angewendet wurde.
Note 0:
Ohne Befund, Gefieder vollständig intakt. Sehr guter Gefiederzustand.
Note 1
Gefiederschäden und fehlende Federn deutlich erkennbar
Bei den Gefiederschäden auf den Abbildungen handelt es sich um die beginnende Verhaltensstörung „Federpicken“. Typisch für diese Verhaltensstörung ist beginnendes Picken am Stoßansatz, dann am Rücken Richtung Hals aufwärts. Wenn die Tiere einmal gelernt haben, die kleinen Daunenfedern zu zupfen, folgt Federpicken am Legebauch, den Schenkeln und den Flügeln. Der Herdenbetreuer muss die Ursache schnellstmöglich erkennen und beheben. Das unerwünschte Verhalten kann zu diesem Zeitpunkt noch gestoppt werden.
Note 2
Gefiederschäden und fehlende Federn massiv erkennbar.
Wenn viele Hennen der Herde aussehen wie auf dieser Abbildung, liegt bereits länger die Verhaltensstörung Federpicken vor. Die Ursache muss schnellstmöglich erkannt und behoben werden. Für die Ursachenforschung sollten bei Bedarf Spezialisten wie der Tierarzt oder Berater hinzugezogen werden. Nachdem mögliche Ursachen identifiziert und behoben wurden, sollten die Tiere abwechslungsreiches Beschäftigungsmaterial erhalten. Die Lichtintensität sollte leicht reduziert werden. Die Chance, dass diese Herde das unerwünschte Verhalten wieder „abstellt“ ist gering. Da Hautanteile bereits verstärkt freigelegt sind, können Verletzungen auftreten.
Note 3
Überwiegend federlos.
Diese Herde hat massives Federpicken, das mit Verletzungen einhergeht. Im Management sind wiederholt Fehler unterlaufen. Das unerwünschte Verhalten ist bei der Herde extrem gefestigt und kann nicht gestoppt werden. Um das Federpicken zu reduzieren, sollte mit Beschäftigungsmaterial wie Luzerne und Weizengabe in die Einstreu gearbeitet werden. Damit die Verletzungen nicht noch massiver auftreten, ist über eine starke Reduzierung der Lichtintensität nach Absprache mit dem Tierarzt nachzudenken.
Grundsätzlich kann Kannibalismus auch unabhängig von der Verhaltensstörung „Federpicken“ auftreten. Kannibalismus, wie Kloakenkannibalismus, Zehenpicken oder Picken an anderen Körperregionen wie den Flügeln oder am Rücken kann innerhalb kürzester Zeit in einer Herde ausgelöst werden. Die Praxis hat gezeigt, dass z.B. ein Managementfehler wie fehlender Zugang zu Futter oder Wasser, bedingt durch einen technischen Defekt, Kannibalismus auslösen kann.
Fazit: Nicht nur der Landwirt, auch der Markt muss reagieren
Nach Abschluss des 2-jährigen MuD Projektes wurde ein umfangreicher Managementleitfaden veröffentlicht, welcher hier als PDF zu finden ist.
Legehennen sind Hochleistungstiere und verzeihen keine Fehler. Daher ist ein nahezu 100%iges Management notwendig, wenn die Tiere am Ende der Legeperiode voll befiedert ausgestallt werden, was das Ziel sein sollte. Selbst der Faktor „Lichtreduktion“ als Managementmaßnahme bei beginnenden Verhaltensstörungen kann zwar kurzzeitig eine nervöse Herde vorerst im Fehlverhalten stoppen, wenn jedoch die Ursache nicht behoben wird, bepicken sich die Hennen auch im abgedunkelten Stall weiter. Dies führt dann wiederum zu Problemen wie Nervosität und Kannibalismusgefahr. Zusätzlich schränken Abdunkelungen tägliche Kontrollen, wie die Beurteilung des Gefiederzustands und die Kot- oder Einstreubeschaffenheit ein.
Ein 100%iges Management ist sehr zeitaufwendig und kostet Geld. Um den Landwirten unterstützend zur Seite zu stehen müsste der Handel dringend reagieren und den Eierpreis in allen Haltungsformen anpassen.