Rinder
Trockensteherfütterung – Für einen gesunden Start in die Laktation
„Ich bin überzeugt, dass die Zeit, die ich in Fütterung, Haltung und Pflege bei den Trockenstehern investiere, sich zurückzahlt. Aber es muss arbeitswirtschaftlich händelbar bleiben“, mit diesen Worten leitete Frau Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge einen Vortrag für Milcherzeuger ein. Mahlkow-Nerge ist nicht nur Hochschulprofessorin für Tierernährung, sondern war viele Jahre als Fütterungsreferentin des Landes Schleswig-Holstein tätig und unterstützt in ihrer Freizeit den 200 Kühe zählenden Milchviehbetrieb ihres Mannes. Sie blickt also mit den Augen der Beraterin, der Wissenschaftlerin und Landwirtin auf das Thema.
Physiologische Situation der Milchkuh
Blickt man auf die Entwicklung der Milchleistung, so zeigt diese einen starken Anstieg in den letzten Jahrzehnten. So melken in Schleswig-Holstein im Jahr 2021 bspw. 43 Prozent der Milchkühe mehr als 10.000 kg Jahresleistung. Diese Leistungsentwicklung bedeutet eine große Herausforderung für den Stoffwechsel. In der Natur oder bei geringer Milchleistung liegt der Energie- und Nährstoffbedarf in der Frühlaktation 50 Prozent höher als in der Zeit ohne Milchbildung. Mit dem heutigen Leistungsniveau steigt der Bedarf auf das 4 bis 6-fache. Mit dem Energieumsatz eines erwachsenen Menschen verglichen, würde dieser aus dem Ruhezustand einen Schnelllauf mit 5 min/km, also 72 km in sechs Stunden absolvieren.
Bei den Kühen stellt sich dabei das Problem, dass die Milchbildung nicht der Futteraufnahme folgt, sondern der genetischen Veranlagung. Dies hat einen starken Körperfettabbau in den ersten Laktationswochen zur Folge. Es gibt Kühe, die in der Frühlaktation bis zu 22 kg Milch aus Körperfett ermelken. Das macht eine Kuh instabil. Dabei scheint nicht die negative Energiebilanz das größte Problem, sondern der zelluläre Stress, den es bedeutet, den Stoffstrom in der Frühlaktation umzulagern. Untersuchungen aus 2014 zeigen, wie dieser Ab- und Umbau von Körperfett speziell in der Frühlaktation Entzündungsprozesse in den Körperzellen auslöst. Das beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit der Körperzellen und führt durch die Entzündungsreaktion zu mehr Energieverbrauch. Fragt man Wissenschaftler, wie man diesen Stoffwechselstress vermeiden kann, ist die Antwort unisono: „Konzentration auf die Trockensteher legen.“ Die angepasste Fütterung in der Trockenstehzeit kann Fettleber, Ketose und Insulinresistenz eindämmen, deren Ursache das Entzündungsgeschehen in den Körperzellen ist. Eine Hemmung des Entzündungsgeschehen führt zu mehr Energie, die dann für die Milchbildung zur Verfügung steht. Die Vermeidung einer zu energiereichen Fütterung und Verhinderung einer Überkonditionierung der Kühe ist die beste Prävention gegen diese Stoffwechselentgleisungen.
Welche Fütterungssysteme gibt es für Trockensteher?
Nach heutigem Wissensstand haben sich drei Modelle der Trockensteherfütterung bewährt. Am weitesten verbreitet ist:
1. die zweiphasige Fütterung über 6 bis 8 Wochen.
Die erste Phase ist gekennzeichnet durch einen drastischen Futterwechsel auf ein sehr niedriges Energieniveau. In der anschließenden Vorbereitungsfütterung, 2 bis 3 Wochen vor der Abkalbung, wird die Fütterung an die Laktationsration angepasst. Die sinkende Futteraufnahme und der höhere Energiebedarf werden dabei berücksichtigt.
2. Die einphasige Fütterung über 42 Tage wird aus Gründen der Arbeitswirtschaft und zur Vermeidung krasser Futterwechsel durchgeführt. Hier ist ein „sanftes Auffleischen“ von beim Trockenstellen unterkonditionierten Kühen möglich.
3. Die einphasig verkürzte Fütterung von weniger als 42 Tagen wird besonders bei Kühen mit sehr hoher Leistung zum Laktationsende praktiziert.
„Die zweiphasige Trockensteherfütterung scheint der Physiologie der Kuh näher, als die einphasige Fütterung“, so Mahlkow. Im eigenen Betrieb (Haase, Weesby) mit einer Leistung von über 11.000 kg, wird der Großteil der Kühe bei einer leicht verlängerten Zwischenkalbezeit von 415 Tagen in der Trockenstehzeit zweiphasig gefüttert. Einzelne Kühe mit einem hohen Tagesgemelk werden dabei verkürzt trockengestellt und sofort in die Vorbereitergruppe selektiert. Diese Maßnahme erfolgt niemals bei Erstlaktierenden.
Die allgemeinen Empfehlungen der Gesellschaft für Ernährung (GfE) für die Trockensteherfütterung orientieren sich an Nährstoffgehalten pro kg Trockensubstanz. Und das ist die Engstelle für die Praxis. Die Kühe fressen die vorgelegte Ration, wobei die Futteraufnahme oft geschätzt wird oder sich an den Vorgaben der GfE orientiert. Zahlreiche Fütterungsversuche zeigen aber, dass die Futteraufnahme stark variieren kann und bei leistungsstarken Herden von denen der GfE-Empfehlungen abweicht. Deshalb erfasst Prof. Mahlkow die Futteraufnahme aller Fütterungsgruppen monatlich im Betrieb ihres Mannes (Haase, Weesby). Dabei hilft eine Heißluftfritteuse, die Trockenmasse der Ration zu ermitteln. Zurecht kritisieren Milchviehhalter das Ausmaß an Dokumentationspflichten. „Diese Form der Dokumentation ist für uns selbst und unabhängig von äußeren Anforderungen,“ argumentiert Mahlkow für das Vorgehen in ihrer Praxis. Die Aufzeichnung hat den Betriebsleiter für Nuancen sensibilisiert. Die Vermeidung von Energie- und Eiweißüberschüssen in der Frühtrockensteherzeit gilt als wichtigster Punkt. Das Messen der Futteraufnahme und die Bonitur der Körperkondition sind zwei einfache Mittel dies zu kontrollieren.
Praktische Möglichkeiten der Trockensteherfütterung
Für den Milchviehhalter ist es wichtig, so wenig Futtermischungen zu füttern wie möglich. Neben dem arbeitswirtschaftlichen Aspekt werden damit auch Mischfehler verringert. Im Betrieb Haase, Weesby, werden folgenden Mischungen zusammengefasst:
- Früh-Trockensteher und Jungrinder (ab ca. 9. Lebensmonat) mit einer Futtermischung mit Calciumfreiem Mineralfutter füttern. Nach dem Abladen bei den Trockenstehern wird der Futtermischung für die Jungrinder Futterkalk und Viehsalz nach Rationsberechnung zugemischt.
- Vorbereiterkühe und kleine Kälber/ Jungrinder bis ca. 9. Lebensmonat mit einer energiereichen Mischung (≥ 6,5 MJ NEL) mit Trockenstehermineralfutter versetzt. Je nach DCAB wird den Vorbereiterkühen noch Futterkalk beigemischt. Nach dem Abladen wird Futterkalk und Viehsalz für die Mischung der melkenden Herde (Teil-TMR oder TMR) zugegeben. So gibt es im Betrieb drei Big Bags mit Mineralfutter (Futterkalk, Viehsalz und Trockenstehermineralfutter).
Die Kenntnis der Futteraufnahme und die des DCAB der Ration verhindert die Stoffwechselerkrankung des Milchfiebers. Diese ist oft der Auslöser für andere Probleme wie Labmagenverlagerung, Nachgeburtsverhaltungen, Ketose und Euterentzündungen. Denn überall spielt die Muskelkontraktion eine große Rolle. Diese ist gestört, wenn der Stoffwechsel in der Trockenstehzeit nicht entsprechend trainiert wurde. “Milchfieber hat immer etwas mit der Trockensteherfütterung in den letzten 14 Tagen zu tun. Hier mache ich mit der Fütterung eine konzentrierte Milchfiebervorsorge,“ so Prof. Mahlkow. Besonders hohe Gehalte an Kalium lassen die Milchfiebergefahr steigen.
Für die Praxis ist es wichtig, die DCAB-Werte aller eingesetzten Futtermittel zu kennen und danach Futterkalk oder ein angepasstes Mineralfutter einzusetzen. Bringen die Grobfutter, wie Grassilage bereits eine hohe DCAB mit, kann auf Saure Salze oder bei hohen Calciumgehalten auf Calciumbinder ausgewichen werden. Vermehren sich Schwergeburten bei den mehrlaktierenden Kühen, sollte die Alarmglocke mit Blick auf Milchfieber schellen.
Wichtigste Maßnahmen bei Frischmelkern
Auch hier ist das Controlling entscheidend. „Ich möchte ein Feedback bekommen, ob das was ich mache, grundsätzlich richtig ist,“ ordnet es Mahlkow ein. Der wichtigste Punkt ist das Temperaturmessen. Auch die Ketonkörper-Schnellbestimmung hält die Expertin für eine wichtige Maßnahme. Damit wird der Energiestoffwechsel systematisch überwacht. Bei erhöhten ßHB-Werten (0,6 – 1 mmol/l Blut) reagiert Mahlkow mit 500 ml Prophylenglykol in die Backentasche der Kuh: „Jeden Tag das Tier sprichwörtlich im Arm halten.“ Neben diesen konkreten Maßnahmen ist es wichtig, bei jedem Rundgang jede frischmelkende Kuh anzuschauen: Wiederkauen, Kotkonsistenz, Pansenfüllung, Laufverhalten und BCS sind die wesentlichen Punkte. „Wenn sich der Betriebsleiter und die Kühe im hellen, luftigen und großräumigen Trockensteherstall wohlfühlen, ist das gut für die Kühe und die Beobachtung,“ schloss Mahlkow-Nerge den Vortrag ab.Der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen und das Netzwerk Fokus Tierwohl Rind hatten milchviehhaltende Betriebe zu einem Online-Seminar mit der Fütterungsexpertin Prof. Dr. Mahlkow-Nerge (FH Kiel) eingeladen.