Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen

Rinder

Weide neu denken – innovative Ansätze in der Rinderhaltung

Wo funktionieren neue Ansätze in der Rinderhaltung ohne die Ökonomie und die Work-Life-Balance aus den Augen zu verlieren? In diesem Artikel werden Einblicke in zwei nordrhein-westfälische Milchviehbetriebe mit „Low-Cost-System“ gegeben, die am 04.09.2024 bei einer Exkursion vertieft werden können.

Das „Low-Cost-System“ ist eine Bewirtschaftungsweise, bei der es primär um eine Kostenminimierung geht und nicht nur die Leistung der Milchviehherde im Fokus des Betriebes steht. Die Kostensenkung erfolgt auf diesen Betrieben durch einfache Bauweise der Stallungen, sechs bis sieben Monate Vollweide ohne Zufüttern im Stall, minimaler Maschinenbesatz und einfache Arbeitsstrukturen. Wie dies funktionieren kann, zeigen zwei Betriebe aus Nordrhein-Westfalen (NRW).

Effiziente Weidewirtschaft und erfolgreiche Betriebsführung: Einblick in die Schöneberger Milchvieh KG

Eine Milchviehherde läuft einen unbefestigen Weg entlang. Rechts ist eine umfriedete Weide zu sehen, links austreibende Bäume.
Milchviehherde beim Weideumtrieb, Foto: Christoph Schmitter
Milchviehherde beim Grasen auf der Weide, links ist blühender Schlehdorn zu sehen.
Milchviehherde von Christoph und Ramona Schmitter beim Grasen auf der Weide; Foto: Christoph Schmitter
Auf dem Betrieb von Christoph und Ramona Schmitter leben 220 Milchkühe sechs bis sieben Monate im Jahr auf der Weide. Das Ehepaar bewirtschaftet insgesamt 200 ha Grünland. Auf dem Betrieb werden alle Arbeiten der Außen- als auch der Innenwirtschaft selbst erledigt. Es wird weder ein Lohnunternehmer noch ein Klauenpfleger beschäftigt. Um dies gut zu schaffen, leistet sich das Ehepaar zwei Vollzeitarbeitskräfte. 73 ha des Grünlands sind in ca. 2 ha Schläge aufgeteilt und werden als Umtriebsweide von den Milchkühen im Dreiblattstadium nach neuseeländischem Vorbild abgeweidet. So nehmen die Kühe je nach Qualität des Grasaufwuchses und Witterung zwischen 15 bis 18 kg TS täglich auf. Der Aufwuchs wird einmal wöchentlich mit dem Plate Meter gemessen und in ein irisches Grasmanagementprogramm übertragen. So ist schnell ersichtlich ob zu viel oder zu wenig Gras vorhanden ist. Bei einem Überangebot werden einzelne Parzellen als Rundballen siliert. So bleibt die Qualität des Aufwuchses erhalten. Bei einem Grasmangel kann durch frühzeitige Zufütterung entgegengewirkt werden. „Diese wöchentliche Arbeit ist die wichtigste Aufgabe im Management eines Vollweidebetriebes“, betont das Ehepaar. Wenn im Frühling genug Gras vorhanden ist, wird die Fütterung im Stall meist Mitte April eingestellt. Im Melkstand werden lediglich 1 bis 2 kg Lockfutter angeboten. Der Melkstand ist ein einfacher 22/44 Swing-Over-Melkstand. Das Melken der Kühe nimmt inkl. Reinigungsarbeiten 1,5 Std. pro Melkzeit in Anspruch. Die Herde kalbt von Anfang September bis Mitte November in 10 Wochen ab. An Weihnachten sind alle Aufzuchtkälber abgesetzt und die letzten Bullenkälber verkauft. Diese einfache Betriebsführung nach dem „Low-Cost-System“ geht für die Familie voll auf. Der Investitionsbedarf ist gering. So findet man den Betrieb seit Jahren in den betriebswirtschaftlichen Auswertungen immer unter den Erfolgreichen.

Vollweidebetrieb im Sauerland: Effiziente Milchviehwirtschaft bei Thomas Apelt

Milchviehherde auf einer Weide, im Hintergrund sind Laubbäume
Milchviehherde von Thomas Apelt beim Grasen auf der Weide; Foto: Thomas Apelt
Nur wenige Kilometer entfernt von Wipperfürth und dem Betrieb von Christoph und Ramona Schmitter befindet sich ein weiterer Vollweidebetrieb. Im sauerländischen Halver betreibt Thomas Apelt einen „Low-Cost-Betrieb“, der ebenfalls auf das Vollweidesystem setzt. Er bewirtschaftet insgesamt 70 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, darunter fallen 66 ha voll arrondiertes Grünland zur Fütterung der Milchkühe. Circa 100 Milchkühe beweiden sieben bis acht Monate im Jahr das Grünland als Kurzrasenweide. Für den „Low-Cost“-Betrieb von Thomas Apelt ist die Vollweide die günstigste Art der Fütterung. Die Aufwuchshöhe, die einmal wöchentlich mit einem Plate Meter kontrolliert wird, liegt bei 5 bis 7 cm. Wächst das Gras schneller als die Kühe fressen, wird ein Teil der Weide gemäht. Eine Weidepflege findet nur mit der Gliederschleppe im zeitigen Frühjahr statt. Wenn nachgesät wird, dann mit entsprechender Standardmischung aus Deutschem Weidelgras und Klee. Je nach Wetterlage werden die Kühe Ende Oktober aufgestallt und ab diesem Zeitpunkt erfolgt die Fütterung gemäß des Laktationsstadiums über eine Mischration im Stall. Eine Gruppe von ca. 20 Kühen wird bei der Aufstallung trockengestellt und bleibt bis zum Schnee (Ende November) auf der Weide. Im Winter erhält jedes Tier während der täglichen Melkzeit zusätzlich je 1 kg Kraftfutter. Gemolken wird auf dem Betrieb von Thomas Apelt in einem Doppel-12er Swing-Over-Melkstand. Eine echte Besonderheit ist hier allerdings, dass die gesamte Milchviehherde aufgrund des Arbeitskräftemangels ab Ende Juni auf einmaliges Melken pro Tag umgestellt wird. Um die Umstellung auf das einmalige Melken für die Tiere so schonend wie möglich zu gestalten, wird das Abendgemelk täglich eine halbe Stunde vorgezogen. Bei einem Abstand von 4 h wird die zweite Melkzeit eingestellt. Durch den Wegfall der zweiten Melkzeit entsteht eine erhebliche Zeitersparnis. Alle Kühe werden rund um den 1. Dezember trockengestellt. Zur optimalen Anpassung an den Grausaufwuchs erfolgen dann die Abkalbungen etwa ab Mitte Januar bis Anfang April. Die frischlaktierenden Kühe werden mit einer entsprechenden Trockenmischration (TMR) gefüttert, um das Leistungsvermögen auszuschöpfen und die Kühe möglichst schnell in eine für die Besamung angemessene Köperkondition zu bringen. Somit wird ab dem 15. April bis zum 30. Juni besamt. Dieses Verfahren erlaubt, dass über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel auf dem Betrieb Apelt überhaupt nicht gemolken wird.

Das Projekt 100 nachhaltige Bauernhöfe und der Arbeitskreis Weide des Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen planen am 04.09.2024 eine Exkursion zu den beiden vorgestellten Betrieben. Alle, die dieses Thema interessiert, können sich gerne auf der Website des LLH (https://llh.hessen.de/beratung/veranstaltungen/72745/) oder telefonisch bei Frau Tanja Debus ( 01752 947171) anmelden.


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