Grünland & Futterbau
Weideverträglichkeit und Futterwert von Grünlandarten
Artenreiche Grünlandflächen leisten einen wertvollen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität. Insbesondere extensiv genutztes Grünland zeichnet sich somit durch eine hohe ökologische Wertigkeit aus. Durch das „Kennartenprogramm“ (Öko-Regelung 5 – „Ergebnisorientierte extensive Bewirtschaftung von Dauergrünlandflächen mit Nachweis von mindestens vier regionalen Kennarten“) wird zukünftig das nachweisliche Vorhandensein von mindestens vier Kennarten honoriert.
Somit liegt der Fokus dieser sogenannten Öko-Regelung 5 auf der Artenvielfalt. Die Nutzung ist dabei ein wesentlicher Einflussfaktor auf das Artenvorkommen im Grünland. Bei der Beschreibung der Arten zielen Erläuterungen wie „weideverträglich“ oder „weideempfindlich“ immer auf die Eigenschaft der entsprechenden Grünlandart ab und sagen nichts über den Wert und die Verträglichkeit für das Nutztier aus. Zur Beurteilung der Futterqualität einzelner Pflanzenarten und -bestände muss hingegen der Futterwert herangezogen werden.
Häufig ist bei Grünlandarten von der Schnittverträglichkeit, Tritt- oder Weideverträglichkeit die Rede. Auch in der hessischen Bestimmungshilfe (der Öko-Regelung 5) werden solche Nutzungsmerkmale für einige Arten mit aufgeführt. Durch diese Nutzungsmerkmale wird die Toleranz der entsprechenden Pflanzenart gegenüber Schnitt, Tritt oder Fraß zum Ausdruck gebracht. Zur Einordnung der Pflanzen bei der Mahdverträglichkeit, der Weideverträglichkeit und beim Futterwert werden den Arten analog zu den standortbezogenen Wertzahlen (Zeigerwerte: Licht, Temperatur, Kontinentalität, Feuchte, Reaktion, Stickstoff) sogenannte „Nutzungswertzahlen“ zugewiesen. Wie bei den Zeigerwerten sind auch diese Vergleichszahlen in eine 9-stufige Skala gefasst. Die Mahdverträglichkeit (Schnittverträglichkeit) nach Briemle & Ellenberg (1994) steht bspw. mit dem Regenerationsvermögen und der Wachstumsgeschwindigkeit in enger Beziehung. Bei der Weideverträglichkeit der Pflanzen können die Einflussgrößen, die die Einstufung u.a. beeinflussen wie folgt beschrieben werden (Tabelle 1).
W-Zahl | Gesichtspunkte bei der Einstufung |
1 bis 3 | Pflanzenarten, die jährlich höchstens ein einmaliges Abfressen oder Zertreten ihrer Assimilationsorgane zu einem späten Entwicklungs-stadium vertragen. |
4 bis 6 | Pflanzen die eine ein- bis zweimalige Schädigung in Teilen vertragen, oder die bei extensiver bis mäßig intensiver Nutzung nicht sofort beim Auftrieb abgefressen werden (z. B. bei ausreichendem Futterangebot), da zunächst die schmackhaftesten selektiert werden. |
7 bis 9 | Pflanzenarten, die 1. nach dem Abfressen oder Zertreten schnell wieder austreiben, oder 2. vom Viehmaul kaum erfassbar sind (wegen Niedrigwüchsigkeit), oder 3. beim Fressen nur im Sprossbereich erfasst werden, wobei die Blattrosette verschont bleibt, oder 4. nicht auf eine jährliche generative Vermehrung angewiesen sind, oder 5. durch den Tritt nur wenig Schaden erleiden (derbe Blattstruktur), oder 6. beim Weiden gemieden werden, da sie giftig, dornig stachelig, sehr haarig, ledrig oder wegen ihrer Duftstoffe oder ihres Geschmacks beim Vieh nicht beliebt sind, oder 7. aufgrund Punkt 6 meist umgangen und nicht betreten werden, oder 8. ihre phänologische Entwicklung vor dem Weideauftrieb schon weitgehend abgeschlossen haben |
Eine Zuordnung der Weideverträglichkeitszahl erfolgt bspw. gemäß Tabelle 2:
W.Zahl | Weideverträglichkeit | Weideintensität bzw. Effekte auf den Pflanzenbestand |
1 | völlig weideunverträglich | Pflanzenbestand nicht oder nur für eine sehr extensive Beweidung geeignet |
2 | zwischen 1 und 3 stehend | siehe oben |
3 | weideempfindlich | Pflanzenbestand nur mäßig für die Beweidung geeignet |
4 | zwischen 3 und 5 stehend | Weidegänge mit teilweisem Abfressen der Nutzbaren Pflanzenteile bzw. des Aufwuchses |
5 | mäßig weideverträglich | siehe oben |
6 | zwischen 5 und 7 stehend | Weidegänge mit Abfressen der nutzbaren Pflanzenteile |
7 | gut weideverträglich | mehrmaliges Abfressen der nutzbaren Pflanzenteile – oder aber gänzlich gemieden |
8 | zwischen 7 und 9 stehend | siehe oben |
9 | überaus weideverträglich | mehrmaliges vollständiges Abfressen der nutzbaren Pflanzenteile – oder aber gänzlich gemieden |
Somit gibt eine hohe Weideverträglichkeitszahl Auskunft über das wahrscheinliche oder mögliche Vorkommen einer Art bei Beweidung, unabhängig davon, ob sie die Beweidung gut verträgt oder bei der Beweidung ausgespart wird.
Durch die Schnittverträglichkeit, die Tritt- und die Weideverträglichkeit wird immer die Reaktion der jeweiligen Pflanzenart beschrieben. Diese Parameter sagen allerdings nichts über die Verträglichkeit und den Wert für Nutztiere aus. Weideverträgliche Pflanzen können also durchaus auch giftig sein, dies sollte auf Futterflächen beachtet werden. Auskunft über die Akzeptanz und Beliebtheit bei landwirtschaftlichen Nutztieren gibt die Futterwertzahl. Der Futterwert nach Briemle et al. (1996) basiert auf Klapp et al. (1953), verwendet dabei aber eine 9-stufige Skala. Die Kriterien für den Futterwert der lebenden Pflanze sind:
- Eiweiß- und Mineralstoffgehalte (nach chemischen Inhaltsstoff-Analysen)
- Schmackhaftigkeit und Beliebtheit beim Nutzvieh
- Anteil wertvoller Pflanzenteile (Blätter, Stängel, Blüten, Früchte)
- Zeitdauer der Vollwertigkeit als Futterpflanze
- Nutzbarkeit und Aberntbarkeit der Art
- Schädlichkeit, Giftigkeit und Schmarotzertum
- Zulässiger Anteil im Pflanzenbestand (z. B. bei Giftpflanzen).
Somit werden die Verdaulichkeit, die Beliebtheit beim Tier, der Anteil wertvoller Pflanzenteile, die Nutzbarkeit und Aberntbarkeit (hinsichtlich Bröckelverlusten) sowie Giftigkeit und Schmarotzertum berücksichtigt.
W-Zahl | Futterwert |
1 | giftig für Nutztiere |
2 | kein bis sehr geringer Futterwert |
3 | geringer Futterwert |
4 | geringer bis mittlerer Futterwert |
5 | mittlerer Futterwert |
6 | mittlerer bis hoher Futterwert |
7 | hoher Futterwert |
8 | hoher bis bester Futterwert |
9 | bester Futterwert |
Futterwert der Kennarten
Auch solche Kennarten, die für Weidetiere giftig sein können, zählen zur typischen Ausprägung hessischer Grünlandlebensräume. Dazu sind z. B. das Wiesen-Schaumkraut, die Sumpf-Dotterblume, die Trollblume, alle Hahnenfuß-Arten, alle Klappertopf-Arten sowie alle Wolfsmilch-Gewächse zu nennen.
Generell gilt: Die Dosis macht’s. Zudem sind einige als giftig eingestufte Arten in konserviertem Futter (Heu und/ oder Silage) unbedenklich.
Der Futterwert der in der hessischen Kennartenliste aufgeführten Arten ist in Tabelle 4 aufgeführt. Da in der Kennartenliste neben den Einzelarten auch Artengruppen aufgelistet sind, ist eine vollständige Auflistung der Futterwertzahlen nicht erfolgt.
Weitere Informationen, u.a. zur Verträglichkeit der Arten, sind auch in der aktuellen Auflage des Kompaktwissens „Kennart? Erkenn ich!“ aufgeführt.
Nr. | Deutscher Name Kennarten | Botanischer Name | Futterwertzahl |
1 | Beinwell | Symphytum officinale agg. | 3 |
2 | Echtes Labkraut | Galium verum agg. (incl. Galium wirtgenii) | 4 |
3 | Gilbweiderich | Lysimachia vulgaris | 3 |
4 | Heilziest | Betonica officinalis (Synonym: Stachys officinalis) | 4 |
5 | Kleine Pimpinelle | Pimpinella saxifraga | 6 |
6 | Knöllchen-Steinbrech | Saxifraga granulata | 3 |
7 | Kriechender Günsel | Ajuga reptans | 3 |
8 | Schafgarbe | Achillea millefolium | 6 |
9 | Sumpfdotterblume | Caltha palustris | 1 |
10 | Trollblume | Trollius europaeus | 1 |
11 | Wiesen-Knöterich | Bistorta officinalis (Synonym: Polygonum bistorta) | 5 |
12 | Wiesen-Margeriten | Leucanthemum vulgare agg. (incl. L. ircutianum) | 3 |
13 | Wiesen-Salbei | Salvia pratensis | 3 |
14 | Wiesen-Schaumkraut | Cardamine pratensis | 1 |
15 | Zittergras | Briza media | 6 |
Deutscher Name Kennartengruppe | Ausschlussarten | Futterwertzahl | |
16 | Baldrian-Arten bspw. Arznei-Baldrian bspw. Kleiner Baldrian |
| 2 2 |
17 | Binsen bspw. Glieder-Binse | 2 | |
18 | Flockenblumen bspw. Wiesen-Flockenblume | 4 | |
19 | Frauenmantel bspw. Gewöhnlicher Frauenmantel | 6 | |
20 | Gelbblühende Zwergginster bspw. Gewöhnlicher Färberginsterl | Nicht Sarothamnus scoparius (=Cytisus scoparius, Besenginster) | 2 |
21 | Glockenblumen bspw. Wiesen-Glockenblume | 4 | |
22 | Hahnenfußarten | Nicht Ranunculus repens (Kriechender Hahnenfuß) | 1 |
23 | Hochwüchsige gelbblühende Korbblüter mit großen Blüten (Ø > 2,5 cm) bspw. Gewöhnliches Ferkelkraut bspw. Gewöhnliches Bitterkraut bspw. Wiesen-Pippau bspw. Wiesen-Bocksbart | Nicht Taraxacum officinale agg. (Löwenzahn) |
2 2 5 5 |
24 | Johanniskraut bspw. Geflecktes Johanniskraut | 2 | |
25 | Klappertopf | 1 | |
26 | Kleine gelbblühende, unverholzte, kleeblättrige Schmetterlingsblüter bspw. Wiesen-Hornklee bspw. Kleiner-Klee bspw. Hopfenklee |
8 7 8 | |
27 | Kleine, niederliegende Gelbblühende mit kleinen Blüten (Ø < 2 cm) bspw. Blutwurz bspw. Sonnenröschen bspw. Pfennig-Gilbweiderich | Nicht Ranunculus repens (Kriechender Hahnenfuß) |
3 2 2 |
28 | Knautien, Skabiosen und Teufelsabbiss bspw. Wiesen-Witwenblume bspw. Tauben-Skabiose bspw. Gewöhnlicher Teufelsabbiss |
3 4 3 | |
29 | Kreuzblumen bspw. Gewöhnliches Kreuzblümchen | 2 | |
30 | Mädesüß bspw. Echtes Mädesüß bspw. Kleines Mädesüß | 4 2 | |
31 | Mausohr-Habichtskräuter mit 1–2 Blütenköpfchen | ||
32 | Orchideen | ||
33 | Oregano und Thymian bspw. Feld-Thymian | 2 | |
34 | Primeln bspw. Wiesen-Primel bspw. Hohe Primel | 3 3 | |
35 | Rotblühende Nelken | ||
36 | Sauergräser und Sauergrasartige bspw. Zweizeilige Segge bspw. Feld-Hainsimse bspw. Wald-Simse | Nicht Carex hirta (Behaarte Segge) |
3 3 3 |
37 | Storchschnabel-Arten (typisch für Grünland) bspw. Wiesen-Storchschnabel |
3 | |
38 | Teufelskralle bspw. Ährige Teufelskralle | 6 | |
39 | Veilchen bspw. Sumpf-Veilchen | 2 | |
40 | Vergissmeinnicht bspw. Sumpf-Vergissmeinnicht | 3 | |
41 | Wiesenknopf bspw. Kleiner Wiesenknopf bspw. Großer Wiesenknopf | 5 6 | |
42 | Wolfsmich | 1 |
Literaturhinweise
BRIEMLE, G. & ELLENBERG, H. 1994: Zur Mahdverträglichkeit von Grünlandpflanzen. Möglichkeiten der praktischen Anwendung von Zeigerwerten. – Natur und Landschaft 69: S. 139-147
BRIEMLE, G. (1996): Farbatlas Kräuter und Gräser in Feld und Wald. Ulmer Verlag, Stuttgart.
BRIEMLE, G.; NITSCHE, S. & NITSCHE, L. (2002): Nutzungswertzahlen für Gefäßpflanzen des Grünlandes. – Bonn (Bundesamt für Naturschutz). Schriftenreihe für Vegetationskunde 38: 203-225.
DIERSCHKE, H. & BRIEMLE, G. (2002): Kulturgrasland: Wiesen, Weiden und verwandte Staudenfluren. Stuttgart.