Bauen & Sanieren
Sanierung oder Neubau – Betrachtung ökologischer und ökonomischer Faktoren
Die Bauindustrie zählt zu den ressourcenintensivsten Sektoren unserer Zeit. Jährlich werden Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe, Metalle, Holz, Kunststoffe, Glas und andere Materialien für den Bau und die Sanierung von Wohngebäuden verbraucht. Dabei ist besonders die Produktion von Zement, einem wesentlichen Bestandteil von Beton, mit erheblichen Treibhausgasemissionen (THG) verbunden [1].
Im Jahr 1990 beliefen sich die Emissionen im Baugewerbe auf 210 Millionen Tonnen, während sie im Jahr 2023 auf 102 Millionen Tonnen sanken, was einem Rückgang von rund 50 Prozent entspricht [2]. Trotz dieser positiven Entwicklung wurde das Ziel des Klimaschutzgesetzes (KSG) [3] um etwa 1,2 Millionen Tonnen verfehlt [4]. Das KSG (§ 3) sieht eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent bis zum Jahr 2030 und um mindestens 88 Prozent bis zum Jahr 2040 im Vergleich zu 1990 vor [3].
Zusätzlich zu den THG-Emissionen verursacht die Bauindustrie bei Bau-, Sanierungs- und Abrissarbeiten immense Mengen an Bau- und Abbruchabfällen [1]. Diese Abfälle stellen eine erhebliche Belastung für die Umwelt dar und erfordern eine gründliche Planung und fachgerechte Behandlung, um ihre negativen Auswirkungen zu minimieren.
Weitere Informationen zu Bau- und Abbruchabfällen sowie zum Thema Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und der CO2-Emissionen durch Verwendung von Naturbaustoffen finden Sie im Artikel Bauen für die Zukunft mit Naturmaterialien.
Sanierung vs. Neubau – Komplexe Aspekte und entscheidende Faktoren
Die Entscheidung zwischen der Sanierung und dem Neubau eines Gebäudes ist sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Perspektive komplex und erfordert eine umfassende Analyse.
Bausubstanz und Kosten
Zunächst spielt die Bausubstanz des zu sanierenden Objekts eine entscheidende Rolle. Ebenso wichtig sind das verfügbare Budget und die anfallenden Kosten für Sanierung oder den Abriss und Neubau. Neben diesen anfänglichen Kosten sollten auch die Lebenszykluskosten berücksichtigt werden. Diese umfassen alle finanziellen Aufwendungen, die über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes anfallen (Abbildung 1).
Umweltaspekte
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist der Vergleich des Material- und Energieaufwands, der für einen Neubau oder eine Sanierung benötigt wird. Auch die Auswirkungen auf die Umwelt sollten nicht außer Acht gelassen werden. Dazu zählen Umweltbelastungen wie Abfallaufkommen, Bodenversiegelung und CO2-Emissionen sowie der Ressourcen- und Wasserverbrauch und die Luftverschmutzung (wie Feinstaub und Stickoxide). Diese Belastungen entstehen in den einzelnen Phasen des Lebenszyklus eines Gebäudes: bei der Herstellung und Errichtung, während der Nutzungsphase und bei der Entsorgung (Abbildung 1).
Energieeffizienz und Bauzeit
Die Energieeffizienz ist ebenfalls ein zentraler Aspekt. Eine Sanierung bietet oft die Möglichkeit, den Energieverbrauch bestehender Gebäude zu senken. Neubauten hingegen ermöglichen die Errichtung besonders energieeffizienter Strukturen. Auch die Bauzeit und die Komplexität der Planung sind wesentliche Faktoren, die in die Entscheidung einfließen sollten.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Zugleich müssen rechtliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Dazu gehören in erster Linie die Baugenehmigungen, gefolgt von städtebaulichen Geboten und lokalen Bauvorschriften. Denkmalschutzauflagen und Brandschutzvorschriften sind ebenfalls wichtig. Darüber hinaus sind Energie- und Umweltvorschriften zu beachten, ebenso wie Barrierefreiheitsvorschriften, Abfall- und Recyclingvorschriften sowie Boden- und Altlastengesetze. Je nach Projekt können noch weitere Gesetze zusätzliche spezielle Anforderungen umfassen.
Kulturgüter, Nutzerbedürfnisse und Fördermöglichkeiten
Der Erhalt kulturellen Erbes ist ein weiteres wichtiges Kriterium. Historische oder kulturell bedeutende Gebäude können durch eine Sanierung bewahrt werden. Die Bedürfnisse und Anforderungen der zukünftigen Bewohner sollten auch nicht vernachlässigt werden. Dies betrifft insbesondere die Raumgestaltung, die technische Ausstattung und den Komfort. Weiterhin sollte geprüft werden, ob staatliche oder regionale Förderprogramme existieren, die die Entscheidung zugunsten der Sanierung oder des Neubaus beeinflussen könnten. Auch die zukünftige Nutzung, die Anpassung oder Erweiterung des Gebäudes sowie ästhetische und architektonische Präferenzen sollten in die Entscheidung einfließen.
Neben den bereits genannten Faktoren sind insbesondere ökologische und ökonomische Überlegungen von entscheidender Bedeutung. Ökologische Aspekte umfassen Umweltbelastungen und Ressourcennutzung, während ökonomische Überlegungen die finanziellen Implikationen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes umfassen. Im folgenden Abschnitt werden diese beiden Dimensionen näher betrachtet, um herauszufinden, welche Option – Sanierung oder Neubau – aus diesen Perspektiven sinnvoller ist.
Ökologische Aspekte
Bereits 2007 prägte Carl Elefante den Ausdruck: „The greenest building … is the one that is already built“ (Das grünste Gebäude ist eines, das bereits gebaut ist.) Zudem merkte Elefante an, dass bestehende Gebäude zu nutzen, zu reparieren, zu erneuern und anzupassen den umweltfreundlichsten Ansatz darstellt. Dabei kann die Nachrüstung bestehender Gebäude zur Verbesserung ihrer Leistung eine Energieeffizienz erreichen, die mit der von Neubauten vergleichbar ist. Somit können durch den Erhalt von Gebäuden die Betriebsemissionen erheblich gesenkt und gleichzeitig die immensen Emissionen beim Bau eines neuen Gebäudes vermieden werden [5].
Auch unter Gesichtspunkten der Ressourceneffizienz ist es wünschenswert, einen möglichst großen Anteil der vorhandenen Gebäudesubstanz und Infrastrukturanbindungen zu nutzen und den Gebäudebestand durch kleinere Umbauten und energetische Sanierungen aufzuwerten. Dadurch können im Vergleich zum Neubau bis zu zwei Drittel der im gesamten Lebenszyklus erforderlichen Bau- und Materialströme eingespart werden [6] aus [7]. Für eine fundierte ökologische Bewertung müssen sowohl die kurzfristigen Auswirkungen des Rohstoffverbrauchs und der Abfallmengen als auch die langfristigen Vorteile der Energieeinsparungen während der Nutzungsphase berücksichtigt werden. Eine umfassende ökologische Bewertung kann beispielsweise mittels einer Lebenszyklusanalyse (LCA) nach DIN 15978 erfolgen. Diese beinhaltet die Betrachtung aller Phasen, von der Herstellung der Baumaterialien bis hin zur Nutzung und letztendlichen Entsorgung des Gebäudes (Abbildung 1).
Ökonomische Aspekte
Wann ist es ökonomisch sinnvoller, ein Gebäude zu sanieren, und wann macht ein Neubau mehr Sinn?
Als Faustregel gilt, dass sich eine Sanierung immer dann lohnt, solange die Sanierungskosten nicht mehr als 75 Prozent der Neubaukosten betragen [9], [10].
Ein Blick auf die Erzeugerpreise ausgewählter Baumaterialien (Abbildung 2) zeigt, dass durch die gestiegenen Preise vieler Baumaterialien die Sanierung bestehender Gebäude auch monetär attraktiver werden kann, da in der Regel weniger neue Baumaterialien benötigt werden. Allerdings unterliegen die Preise für Baumaterialien starken Schwankungen.
Die Erzeugerpreise für Baumaterialien und der Baupreisindex stehen in enger Verbindung und haben direkte Auswirkungen auf die Bauindustrie. Dies spiegeln auch die neuesten Zahlen des Bau- und Immobilienpreisindex (1. Quartal 2024) wider. Im Mai 2024 sind die Preise für den Neubau konventionell gefertigter Wohngebäude in Deutschland um 2,7 % gegenüber Mai 2023 gestiegen. Demgegenüber ist der Häuserpreisindex im bundesweiten Durchschnitt im ersten Quartal 2024 um 5,7 % gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken und um 1,1 % gegenüber dem Vorquartal (Abbildung 3) [12].
Bau- und Immobilienpreisindex
Angesichts der starken Schwankungen bei den Preisen für Baumaterialien sowie den Bau- und Immobilienpreisindizes ist es sinnvoll, eine Wirtschaftlichkeitsanalyse durchzuführen. Diese kann dazu genutzt werden, um die Wahl zwischen Sanierung und Neubau aus rein ökonomischer Sicht zu berechnen. Im Allgemeinen lassen sich Wirtschaftlichkeitsverfahren in statische und dynamische Verfahren einteilen (Abbildung 4). Diese Analyse hilft, die finanziellen Auswirkungen beider Alternativen zu vergleichen und die ökonomisch vorteilhafteste Option zu ermitteln.
Für Bauherren ist es oft eine Herausforderung, die Kosten realistisch zu bewerten und miteinander zu vergleichen. Daher ist es ratsam, die Einschätzung von Fachleuten einzuholen. Dies können Fachleute aus der Architektur-, Energie- und Handwerksbranche sein.
Zusammenfassung der Entscheidungsfaktoren
- Rechtliche Rahmenbedingungen
- Bausubstanz: Der Zustand des bestehenden Gebäudes beeinflusst die Machbarkeit und die Kosten einer Sanierung.
- Budget & Kosten
- Lebenszykluskosten: Bau-, Betriebs- und Entsorgungskosten über die Lebensdauer des Gebäudes.
- Ressourcenverbrauch: Material- und Energieaufwand für Neubau im Vergleich zur Sanierung.
- Umweltauswirkungen: CO2-Emissionen und Umweltbelastungen während des gesamten Lebenszyklus des Gebäudes.
- Energieeffizienz: Potenzial zur Reduktion des Energieverbrauchs durch Sanierung vs. energieeffizientere Neubauten.
- Kulturelles Erbe: Bewahrung historisch oder kulturell bedeutsamer Gebäude.
- Bauzeit und Planungskomplexität: Zeitaspekt und Komplexität bei Sanierung vs. Neubau.
- Standortfaktoren: Städtebauliche Aspekte und lokale Bauvorschriften.
- Förderprogramme: Existenz staatlicher oder regionaler Förderungen
- Bewohnerbedürfnisse: Raumgestaltung, technische Ausstattung und Komfortansprüche.
- Zukünftige Anpassungsmöglichkeiten: Flexibilität für Erweiterungen oder Anpassungen des Gebäudes.
- Ästhetische und architektonische Präferenzen: Designvorlieben und ästhetische Überlegungen.
Fazit
Die Entscheidung zwischen Neubau und Sanierung sollte sorgfältig abgewogen werden. Dazu gehören nicht nur ökonomische und ökologische Überlegungen, sondern auch rechtliche Rahmenbedingungen, soziale und ästhetische Aspekte sowie die Energieeffizienz. Da jedes Projekt individuelle und situationsbezogene Anforderungen mit sich bringt, sollte die Entscheidung stets unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten und langfristigen Ziele getroffen werden.
Literaturverzeichnis
[1] | Steger S., et. al, „Energetische Sanierung von Bestandsgebäuden oder Neubau – Ökologische Bewertung hinsichtlich Materialbedarf, Primärenergieverbrauch und damit verbundenen Treibhausgas-Emissionen.,“ Wuppertal Institut, 42103 Wuppertal, 2022. |
[2] | Statista GmbH, „Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen des Gebäudesektors in Deutschland von 1990 bis 2023,“ Hamburg, 2024. |
[3] | Bundesrepublik Deutschland, Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), Berlin: Bundesamt für Justiz, 2019, 2021. |
[4] | Umweltbundesamt, „Klimaemissionen sinken 2023 um 10,1 Prozent – größter Rückgang seit 1990,“ Dessau-Roßlau, 2024. |
[5] | Elefante C., „The greenest building… is the one that is already built.,“ 2024. [Online]. Available: https://carlelefante.com/insights/the-greenest-building-is/. [Zugriff am 26 06 2024]. |
[6] | Lemken T., Kaiser C. und Kunert L. , „Alte Orte, neuer Glanz – ressourceneffizientes Bauen und Wohnen im Bestand. Ergebnisse des“ Zukunftsdialogs Rohstoffproduktivität und Ressourcenschonung“.,“ Wuppertal, 2008. |
[7] | Wallbaum H. und Kummer N., „Entwicklung einer Hot Spot-Analyse zur Identifizierung der Ressourcenintensitäten in Produktketten,“ 2006. |
[8] | Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, „Welche Rolle spielen Baustoffe im Gesamtlebenszyklus von Gebäuden?,“ 2023. [Online]. Available: https://www.wecobis.de/en/service/sonderthemen-info/gesamttext-baustoffe-klimaschutz-info/rolle-baustoffe.html. [Zugriff am 05 06 2024]. |
[9] | Baljöhr D., „Sanieren oder neu bauen?,“ 2023. [Online]. Available: https://www.a-better-place.de/sanieren-oder-neu-bauen/. [Zugriff am 15 08 2024]. |
[10] | S-Communication Services GmbH, „Ratgeber Wohnen,“ 2023. [Online]. Available: https://www.sparkasse.de/pk/ratgeber/wohnen/immobilie-modernisieren/unterschied-renovieren-sanieren-modernisieren.html. [Zugriff am 26 06 2024]. |
[11] | Statistisches Bundesamt (Destatis), „Pressemitteilung Nr. N 012 vom 14. März 2024,“ 2024. [Online]. Available: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/03/PD24_N012_61.html. [Zugriff am 15 07 2024]. |
[12] | Statistisches Bundesamt (Destatis) , „Bau- und Immobilienpreisindex,“ 2024. [Online]. Available: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Baupreise-Immobilienpreisindex/_inhalt.html. [Zugriff am 15 07 2024]. |
[13] | Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), „Leitfaden Wirtschaftlichkeit – Betrachtung energetischer Sanierungen in Ein- und Zweifamilienhäusern,“ 2019. [Online]. Available:https://www.gebaeudeforum.de/fileadmin/gebaeudeforum/Downloads/Leitfaden-Handbuch/Leitfaden-Wirtschaftlichkeit.pdf. [Zugriff am 15 07 2024]. |