Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen

Rinder-Haltung

So kann die Gruppenhaltung von Kälbern gelingen

 „Ich war offen für Veränderungen und motiviert, die Kälberhaltung auf unserem Betrieb zu verbessern“, erzählt Betriebsleiter Leonhard Haslberger aus Bayern.

Er nahm mit seinem Betrieb am Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz teil, einem vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) geförderten Projekt, welches die Verbindung zwischen Wissenschaft und Praxis schafft. Haslberger und vier weitere Milchkuhbetriebe mit unterschiedlichen Aufzuchtkonzepten waren Teil des MuD-Netzwerkes „Optimierung der Gruppenhaltung von Kälbern in Hinblick auf Vermeidung und Reduktion des gegenseitigen Besaugens“ mit einer Laufzeit von 2016 bis 2019.

Kleine Maßnahmen mit großer Wirkung

Der Betrieb von Leonhard Haslberger hat 64 Milchkühe und zieht die Kälber in Ammenkuhhaltung auf. Vor Beginn des Projektes war die komplette Aufzucht der Kälber in einem Altgebäude untergebracht. Neben dem gegenseitiges Besaugen, gab es auch Probleme mit der Gesundheit der Kälber. Mit der Möglichkeit, verschiedene kleinere Maßnahmen für die Kälber umzusetzen, baute er als Basis dafür eine Scheune zum neuen Kälberstall um. Damit wurde die Weiterentwicklung des Betriebs angestoßen.

„Gerade die kleinen Maßnahmen sind nicht zu unterschätzen und erzielen häufig eine spürbare Wirkung“, so Friedrich Kinkelbur. Sein Betrieb mit 117 Milchkühen liegt in NRW. Hier werden die Kälber erst in Doppelboxen und dann in Gruppen aufgezogen. Als erste Maßnahme ersetzte er die alten Kälberhütten, bestehend aus Gitterkörben, durch Kälber-Doppelboxen mit herausnehmbarer Mittelwand für mehr Sozialkontakt. Neben anderen umgesetzten Maßnahmen sanierte er ebenfalls ein Altgebäude zu einem neuen Kälberstall, setzt auf die Fütterung qualitativ hochwertigen Kolostrums und veränderte das Hygienemanagement in seinem Betrieb.

Die Betriebe dieses Netzwerks sind allesamt Öko-Betriebe, die über ganz Deutschland verteilt sind, und von den Beratungskräften des Tierschutz-Kompetenzzentrums unterstützt wurden. Ziel des Netzwerkes war es, das gegenseitige Besaugen von Kälbern zu minimieren und nachhaltig das Tierwohl in den Betrieben zu verbessern. Dies geschah mit viel Motivation und sehr viel Engagement seitens der Betriebsleitungen. Empfohlene Maßnahmen wurden von den Beratungskräften mit betriebsindividuell zugeschnittenen Lösungsansätzen begleitet. Ebenso wurden die Betriebe bei der Organisation von Veranstaltungen zu Weitergabe ihrer Erkenntnisse und Erfahrungen zu den umgesetzten Maßnahmen unterstützt.

Zur Status-Quo Erhebung waren alle Betriebsleitungen bestrebt, Maßnahmen umzusetzen, die sie auch über die Netzwerklaufzeit hinaus langfristig in ihren Betrieben fortführen werden. Diese betriebsindividuelle Gestaltung der Maßnahmen entwickelte sich bei einigen Betrieben zu einer kompletten Umstrukturierung der gesamten Kälberaufzucht, die sich in ein ganzheitliches Betriebskonzept eingliederte.

Im Fokus steht das Kalb

Aus bisherigen Versuchen wissenschaftlicher Einrichtungen ist bekannt, dass es keine Generallösung für das gegenseitige Besaugen gibt. Als multifaktorielles Phänomen tritt es hauptsächlich dann auf, wenn das angeborene Saugverhalten nicht vollständig ausgeführt werden kann. Aber auch Stress, Langeweile, nicht genügend Platz, Hunger und Mineralsalzmangel können Gründe dafür sein. Aus Erfahrungen des MuD Tierschutz Themennetzwerkes geht hervor, dass durch gezielte Optimierung von Schwachstellen eine erfolgreiche Gruppenhaltung von Kälbern ohne gegenseitiges Besaugen möglich ist. Als wesentliche Einflussfaktoren wurden beispielsweise ein tierindividuell angepasster Tränke- und Fütterungsplan, die Auslaufgestaltung und Anreicherung der Haltungsumgebung, ein höheres Platzangebot pro Kalb oder die Umstellung des Haltungssystems (z.B. auf muttergebundene Kälberaufzucht) identifiziert.

Die Betriebsleitungen selbst bleiben aber einer der wichtigsten Faktoren: „Mein Blick wurde durch das Netzwerk besser geschult, das Kalb ist dadurch mehr im Fokus und das Thema gegenseitiges Besaugen kann aktiver behandelt werden“, sagt Jasper Metzger-Petersen. Sein Betrieb mit ca. 400 Milchkühen liegt in Schleswig-Holstein. Hier werden die Kälber erst in Doppel-Iglus und dann in der Gruppe bis aufgezogen. Da auf diesem Betrieb das gegenseitige Besaugen bei den kleinsten Kälbern auftrat und sich die Mängel bei der Aufzucht bis zur ersten Laktation nachverfolgen ließen, entschied sich der Betriebsleiter neben der Haltungsanreicherung für den schon vor Beginn des Projektes geplanten Stall, einen Tränke- und Fütterungsautomat zu installieren. Mit diesem kann sowohl die Tränke-, als auch Kraftfuttermenge exakt, tierindividuell an den Bedarf angepasst, portioniert und die täglichen Zunahmen der Kälber durch die integrierte Wiegeeinrichtung kontrolliert werden. „Die gesunde Entwicklung der Tiere spricht für sich und die täglichen Zunahmen von bis zu 1100g/Tag bestätigen den Erfolg der Maßnahme“, erzählt Metzger-Petersen.

Maßnahmen zur Haltungsanreicherung

Eine bewegliche Abdeckplatte im hinteren Bereich des Stalls bietet eine zugluftfreie Rückzugsmöglichkeit; Quelle (BLE)
Beckentränken werden nach Erfahrungen der Netzwerkbetriebe besser angenommen als Zungentränken; Quelle (BLE)

Alle Betriebe haben verschiedene Maßnahmen zur Haltungsanreicherung auf ihren Betrieben mit Erfolg umgesetzt und blicken so auf über 4 Jahre Betriebsweiterentwicklung zurück. So wurden in einigen Kälberställen Mikroklimabereiche etabliert, welche die Kälber vor Zugluft schützen. Gerade in den Übergangsmonaten kann damit Atemwegserkrankungen vorgebeugt werden.

Auf mehreren Netzwerkbetrieben wurden Beckentränken installiert, welche den Zugang für die Kälber zu frischem Wasser ab dem ersten Lebenstag bieten.

Die Erfahrungen der Betriebsleitungen zeigten, dass diese Tränken besser angenommen werden als Schalentränken mit Ventil. „Bei der Installation sollte der Einfall direkter Sonne vermieden werden, da das Risiko der Algenbildung besteht“, erklärt Leonhard Haslberger. Für eine Verbesserung der Haltungsumgebung wurden auch befestigte Ausläufe angelegt.

Der Auslauf und die Weide sind wichtig für das natürliche Verhalten und das Wohlbefinden der Kälber; Quelle (BLE)
Kälberbürsten werden gern von den Tieren angenommen. Sie können im Auslauf angebracht werden, aber auch im Stall steigern sie den Beschäftigungsgrad der Tiere.; Quelle (BLE)

Als wichtig für das Wohlbefinden und das natürliche Verhalten der Kälber haben sich auch die Ausläufe und die Weide erwiesen; besonders auf der Weide haben die Tiere die Möglichkeit, ihren Bewegungsdrang auszuleben und Umwelteinflüsse zu erleben. Als Beschäftigungsmaterial im Auslauf, wie auch im Stall eignen sich unter anderem elektrische Kälberbürsten, diese steigern den Beschäftigungsgrad und das Wohlbefinden der Kälber.

Laut den Betriebsleitungen haben die Kälberbürsten einen starken Zulauf. Ebenso bringt eine Hängebürste einen weiteren Reiz in die Umgebung der Kälber. Unter dem Motto „Rempeln-Schubsen-Spielen“ nutzen meist mehrere Kälber die Hängebürste. An der Decke, unter einer Umlenkrolle befestigt, ist die Bürste beim Entmisten leicht zu entfernen.

Beschäftigung & Wohlbefinden minimieren das gegenseitige Besaugen

Eine weitere Maßnahme ist die Gruppentränke, die nicht nur in den Bereich der Haltungsanreicherung fällt, sondern auch als Optimierung der Fütterung zu sehen ist.

Die Gruppentränke kann mit Vollmilch befüllt werden oder zur Beschäftigung der Kälber auch mit Molke; Quelle (BLE)

„Das Sozialverhalten der Kälber hat sich seit dem Einsatz der Gruppentränke absolut verändert. Die Kälber sind viel entspannter in der Gruppe“, so Leonhard Haslberger. Die Maßnahme fördert das Herdenverhalten der Tiere und ermöglicht soziales Lernen. Vitale Kälber motivieren weniger starke Kälber zum Saufen. Dabei kann die Gruppentränke mit Vollmilch befüllt werden oder zur Beschäftigung der Kälber auch mit Molke. Für die Gruppentränke oder auch die Eimertränken eignen sich Nuckel mit erhöhtem Saugwiderstand. Hier wird der Saugreflex des Kalbes besser gestillt, so dass ein späteres Besaugen anderer Kälber minimiert wird. Der Zitze einer Kuh nachempfunden, kann die Milchaufnahme mit dem Nuckel besser dem Saugen an der eigenen Mutter nachempfunden werden. Nur durch sehr starkes Saugen kann das Kalb Milch aufnehmen. Starkes Saugen regt die Speichelproduktion des Kalbes an und ermöglicht eine langsame Milchaufnahme, wodurch auch das Pansentrinken verhindert wird. Auch die Produktion von Verdauungsenzymen im Labmagen wird durch das intensive Saugen angeregt, so dass fütterungsbedingte Durchfälle bei guter Milchqualität minimiert werden können.

Als weitere Umgebungsanreicherung für Kälber wurde ein Heu- & Grasspender bewertet. Dieser dient der Beschäftigung und befriedigt den Erkundungs- & Spieltrieb der Kälber in unterschiedlichem Maße. Neben der Möglichkeit zur Aktivität bieten die Heu- und Grasspender den Kälbern auch einen Ort der Ruhe. Nach den Erfahrungen auch auf den MuD-Betrieben im Netzwerk legen sich die Kälber gern in der Gruppe darunter.

Mit Grünschnitt befüllte Heu- & Grasspender nutzen die Tiere zur Beschäftigung; Quelle (BLE)

„Befüllt werden kann dieser entweder mit Heu oder mit etwas „Besonderem“ wie Grünschnitt“, erzählt Silvia Rutschmann. Sie und ihr Mann waren ebenfalls Teil des Netzwerks und leiten einen Betrieb in Baden-Württemberg, sie halten 50 Milchkühe und ziehen die Kälber muttergebunden auf. Entgegen der Literatur trat bei ihren Kälbern vereinzelt gegenseitiges Besaugen auf, was u.a. auf das Fehlen von Beschäftigungsmaterialien in der Haltungsumgebung der Kälber zurückgeführt wurde. Neben der Beteiligung am Netzwerk entwickelten die Betriebsleitungen einen Stall-Prototyp mit Förderungen durch das AFP und der EIP-Agri. Die Zukunft dieses Betriebes liegt in einem neuen Stall, der konzeptionell ausschließlich auf die muttergebundene Kälberaufzucht ausgelegt ist und für Deutschland in dieser Form einzigartig ist.

Eine weitere, nicht zu unterschätzende, Maßnahme für die Betriebe ist die Gabe von Mineral-Leckmassen und/oder Mineralsalzbrocken. Diese dienen nicht nur der bedarfsdeckenden Mineralstoffversorgung der Kälber, sondern darüber hinaus auch der Reizanreicherung, sowie der Beschäftigung der Kälber. Das Ertasten und Erschmecken mit der Zunge hat eine prägende Wirkung in der Entwicklung der Kälber. Beides ist flexibel einsetzbar, auch ein Einsatz von Mineral-Leckmasse/Mineralsalzbrocken auf der Weide ist möglich.

Als Umgebungsanreicherung eignet sich auch das Anbringen von Tannenzweigen im Kälberbereich.

Die Kälber nehmen angebotene Tannenzweige (unbehandelt) gerne ins Maul und beschäftigen sich damit. Sie können im Stall mit wenigen Handgriffen befestigt werden. Quelle (BLE)
Für die Kälber steht auch hier das Ertasten und Erschmecken mit der Zunge im Vordergrund. Über das Kauen an Zweigen lernen sie spielerisch, prägen sich Geschmack und Struktur ein: Dies ist auch für einen späteren Weidegang von Vorteil. Der Kostenaufwand hierfür ist minimal und weckt bei den Kälbern eine ungebremste Neugier.

Hubert Blank, ein weiterer Netzwerkteilnehmer erzählt, dass die Beschäftigungsmaterialien für ihre Kälber nicht mehr wegzudenken seien und ist verwundert, dass es jemals ohne ging. „Wir sehen deutlich, wie intensiv sie sich damit beschäftigen.“ Sein Betrieb mit 80 Milchkühen liegt in Baden-Württemberg. Er zieht die Kälber ebenfalls muttergebunden auf. Vor Beginn des Projekts wurde auf dem Betrieb bereits ein neuer großzügiger Boxenlaufstall mit automatischem Melksystem (AMS) gebaut. Mit Beginn des Projektes wurde der Betrieb weiterentwickelt. Die Umsetzung der muttergebundenen Kälberhaltung in Verbindung mit dem automatischen Melksystem wurde erfolgreich umgesetzt. Er und seine Frau sind sehr stolz auf die Betriebsentwicklung, weil diese als Best-Practice-Beispiel zu bewerten ist.

Hier geht es zur BLE-Broschüre „Beschäftigungsmaterial für Kälber“.

Fazit

Durch die Erfahrungen und den Wissensaustausch im Netzwerk haben die Betriebsleitungen erkannt, dass auch bereits mit kleinen Maßnahmen das gegenseitige Besaugen minimiert und nicht nur das das Wohlbefinden der Kälber, sondern auch deren Gesundheit, gesteigert werden kann. Zu den Maßnahmen zählen, angepasste Tränke- und Fütterungspläne, eine optimierte Mineralstoffversorgung und Maßnahmen zur Optimierung der Hygiene im Stall. Die Kälber sind besser entwickelt, vitaler und widerstandsfähiger.
Dazu hat auch der regelmäßige Austausch über Erfolge oder Misserfolge der Maßnahmen auf den Netzwerktreffen und Betriebsbesuchen beigetragen. Die Betriebsleitungen haben während der Netzwerklaufzeit eine hohe Sensibilität gegenüber den Bedürfnissen der Kälber entwickelt, die den weiteren Weg der Betriebe nachhaltig beeinflusst hat.

In den umgesetzten Maßnahmen sehen die Betriebsleitungen die Chance, das Tierwohl in ihren Ställen langfristig zu verbessern und anderen Fachkollegen Tipps und Einblicke in ihre Ställe zu geben, damit auch sie erfolgreich Kälber in Gruppen ohne gegenseitiges Besaugen halten können.

„Die Betriebe sind auf einem guten Weg, aber das Ziel ist noch nicht abschließend erreicht“, so Metzger-Petersen. Friedrich Kinkelbur stimmt ihm zu:“ Die Entwicklung der Betriebe und die gesunden Kälber sind ein tolles Ergebnis, aber das Ende der durch das Netzwerk aufgezeigten Möglichkeiten ist noch nicht erschöpft.“ Alle Betriebsleitungen des Netzwerkes wissen: Die langfristigen Effekte der Maßnahmen werden erst sichtbar, wenn die ersten Kälber, die alle Maßnahmen genießen konnten, in ihrer ersten Laktation sind und Effekte auf Eutergesundheit, Milchmenge, Milchqualität und Vitalität der Kühe sowie metabolische Programmierung evaluiert werden können.


Dieser Artikel ist im Rahmen der Arbeit im Projekt MuD Tierschutz entstanden.


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