Rinder-Haltung
Tierwohl verbessern durch betriebliche Eigenkontrolle
Tierwohl-Tool soll weiterentwickelt werden – 40 Betriebe gesucht
Welche Ansprüche hat das Rind an seine Umwelt und inwieweit kann es sich an diese anpassen? Wenn die Haltung bestimmte Ansprüche nicht erfüllt, kann die Anpassungsfähigkeit der Tiere überfordert werden. Dem Nutztierhalter kommt hier eine hohe Verantwortung zu, dem Wohlergehen seiner Tiere gerecht zu werden.
Tierhalter sind dazu verpflichtet, kontinuierlich und systematisch die Tiere und deren Haltungsumwelt zu beobachten und zu überprüfen, ergänzend zu den notwendigen, täglichen Routine-Kontrollen. Um das Tierwohl im eigenen Betrieb einzuschätzen und falls notwendig auch verbessern zu können, bedarf es objektiver Prüfgrößen. Das Ingenieurbüro für Ökologie und Landwirtschaft (IfÖL GmbH), der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) und weitere Partner führen hierzu ein Projekt durch, an dem hessische Milchviehhalter sich beteiligen können.
Leonie Schnecker vom LLH informiert im Folgenden darüber.
Mit dem „Tierwohl-Tool Milchvieh“, einer Excel-Anwendung, die im EIP-Agri-Projekt „Tierwohl Milchvieh Hessen“ weiterentwickelt wird, soll die Eigenkontrolle im Betrieb für hessische Milchviehhalter erleichtert werden. Anhand relevanter Indikatoren kann das Tierwohl auf dem eigenen Betrieb erfasst und beurteilt und damit der betrieblichen Eigenkontrolle nachgekommen
werden.
Rechtlicher Rahmen
Tierhaltende landwirtschaftliche Betriebe sind seit 2014 nach § 11, Abs. 8 des Tierschutzgesetzes zur betrieblichen Eigenkontrolle anhand von Tierschutzindikatoren verpflichtet. Die Begründung des Bundesrats zur Änderung des Tierschutzgesetzes dazu lautet:
„Ziel der tierschutzbezogenen betrieblichen Eigenkontrolle soll sein, eine Einschätzung des Wohlergehens der Tiere, zum Beispiel anhand geeigneter Indikatoren vorzunehmen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung zu planen und umzusetzen“.
Tierhalter sollen bezüglich des Tierwohls auf dem eigenen Betrieb sensibilisiert und deren Eigenverantwortung gestärkt werden.
Die Erfassung des Tierwohls im Rahmen der betrieblichen Eigenkontrolle ist zwar gesetzlich vorgeschrieben, die Vorgehensweise und Dokumentation ist aber nicht konkret festgelegt. Um das Tierwohl anhand geeigneter Parameter erfassen und dokumentieren zu können, bedarf es eines transparenten und praxistauglichen Bewertungsverfahrens. Vor diesem Hintergrund wurden in den Jahren 2014 und 2015 zur Auswahl geeigneter Indikatoren zwei KTBL-Fachgespräche mit Rinder-, Schweine- und Geflügel-Experten aus Wissenschaft, Beratung, Verwaltung, Tierschutzverbänden und Praxis ausgerichtet. Es wurde insbesondere auf Indikatoren zurückgegriffen, die in vorausgegangenen Arbeiten, zum Beispiel im Rahmen des Projektes Welfare Quality
(2009) für die jeweiligen Nutztiere festgestellt wurden.
Was sind geeignete Tierschutzindikatoren?
Das Ergebnis der Expertenabstimmung für Milchkühe stellt eine Liste aus überwiegend tierbezogenen Indikatoren dar. In der Tabelle sind die ausgewählten Indikatoren zur Erfassung
möglicher Tierwohlprobleme in der Milchkuhhaltung aufgeführt. Für den Einsatz dieser Indikatoren zur betrieblichen Eigenkontrolle wurden 2016 in Arbeitsgruppen des KTBL für die Bereiche Rind (Milchrind, Mastrind und Aufzuchtkalb) Leitfäden für die Praxis erarbeitet.
Die Indikatoren, die zur Bewertung des Tierwohls im eigenen Betrieb dienen, gehören zu zwei Gruppen: tierbezogene Indikatoren und ressourcen- und managementbasierte Indikatoren. Mit den tierbezogenen Indikatoren werden Aspekte des Gesundheitszustands und des Verhaltens der Tiere erfasst, wie zum Beispiel Körperkondition, Sauberkeit, Verletzungen und Lahmheiten der Kühe. Sie ermöglichen direkte Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Haltung, Fütterung und Management auf das Wohlergehen der Tiere. Ob es den Tieren tatsächlich gut geht und ob sie Schäden oder Erkrankungen aufweisen, lässt sich nur an ihnen selbst feststellen.
Mögliche Tierschutzprobleme | Indikator |
---|---|
* (zapf et al. 2015) [1] Falls keine Zellzahlen aus MLP vorhanden. | |
Zu geringe Nutzungsdauer | Nutzungsdauer (über 3 Jahre gemittelt) |
Mastitiden | Gehalt somatischer Zellen (aus MLP), Alternativ: Mastitisbehandlungsinzidenz[1]) |
Schlechter Ernährungszustand und Stoffwechselstörungen | Körperkondition (Body condition score) Fett-Eiweiß-Quotient der Milch |
Lahmheiten | Lahmheit |
Integumentschäden | Integumentveränderungen (inklusive Schwellungen) |
Erhöhte Mortalität | Tierverluste (inklusive euthanasierte Tiere) |
Geburtsschwierigkeiten | Schwergeburtenrate |
Unzureichende Wasserversorgung | Wasserverfügbarkeit (quantitativ) |
Mangelhafter Pflegezustand (Haut, Klauen) | Sauberkeit der Tiere, Pflegezustand der Klauen |
Eingeschränkter Ruhekomfort | Anteil nicht vollständig auf dem Liegeplatz liegender Tiere Aufstehverhalten |
Mensch-Tier-Beziehung | Ausweichdistanz |
Sauberkeit der Tiere als Indikator für Haltung und Management
Mit dem Indikator Sauberkeit lassen sich Schwachstellen in Haltung und Management aufzeigen. Hinweise dafür sind Verschmutzungen an Euter, sowie am oberen und unteren Hinterbein des Tieres. Gründe hierfür können schlecht geräumte Laufflächen oder unpassende Boxengrößen sein. Auch fehlende Einstreu auf den Liegeflächen und zu dünner Kot durch eine mangelhafte Rationsgestaltung oder Krankheit können die Verschmutzung der Tiere fördern.
Über die Klaue wird der Schmutz häufig auf die Liegefläche der Rinder transportiert und kann zu Juckreiz und Entzündungen der betroffenen Hautstellen sowie einer Beeinträchtigung der Thermoregulation führen. Auch das Risiko infektiöser Klauenerkrankungen steigt.
Haltungstechnik prüfen
Der Indikator Integumentschäden zeigt beispielsweise direkt am Tier, wie gut die Haltungstechnik an das Tier angepasst wurde. Beim Rind treten Integumentschäden besonders häufig am Nacken sowie an den Sprung- und Vorderfußwurzelgelenken auf. Die in der Folge der nicht angepassten Haltungsumwelt auftretenden Schäden wie frische Wunden und geschwollene oder verkrustete Stellen sind schmerzhaft für die Tiere. Nicht selten sind diese Schäden der Anfang von langwierigen Infektionen, Schwellungen oder Gelenkveränderungen, die sich zu einer Lahmheit
entwickeln können.
Mit ressourcen- und managementbasierten Indikatoren werden Aspekte der baulich-technischen Gegebenheiten von Haltungsbedingungen und des Managements erfasst (Enthornungspraxis,
Weide/Auslauf, Wasserversorgung, Platzangebot der Kühe). Diese sind Voraussetzungen, mit denen eine tiergerechte Haltung erreicht werden soll. Sie lassen aber nur einen indirekten Rückschluss darauf zu, wie es den Tieren unter diesen Bedingungen tatsächlich geht.
Die Reaktionen von Tieren, wenn die Ansprüche in Haltung und Management nicht erfüllt werden, sind nicht immer deutlich zu erkennen. Hierbei sind geeignete Indikatoren ein probates Hilfsmittel, um beispielsweise die überforderte Anpassungsfähigkeit der Tiere, die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung von biologischen Funktionen, aber auch Erkrankungen, Stress, arteigenes
Verhalten oder Verhaltensabweichungen und auch negative Empfindungen wie Schmerzen oder Frustration sichtbar zu machen. Um ein vollständiges Bild der Auswirkungen von Haltung und Management auf die Tiere zu erhalten, müssen in der Regel mehrere Indikatoren berücksichtigt werden.
Anhand eines Netzdiagramms werden den teilnehmenden Betrieben zu jedem Indikator die Ergebnisse gezeigt:
EIP-Agri-Projekt Tierwohl Milchvieh Hessen
Mit Beginn des EIP-Agri-Projektes „Tierwohl Milchvieh Hessen“ im Jahr 2020 widmet sich ein in Hessen angesiedeltes Projekt der betrieblichen Eigenkontrolle. Aufbauend auf die Arbeiten in vorangegangenen Projekten und Fachgesprächen zu dem Thema, nimmt sich das Projekt „Tierwohl Milchvieh Hessen“ dem Problem an, dass die betriebliche Eigenkontrolle gesetzlich vorgeschrieben, die Vorgehensweise und Dokumentation aber nicht konkretisiert sind.
Die im Rahmen eines Netzwerks von Pilotbetrieben (BMEL- und BÖLN-Förderprojekt) entwickelte Excel-Anwendung wird in diesem Projekt weiterentwickelt, sodass es als Instrument zur Erfassung und Bewertung der Tierwohlsituation in der Praxis genutzt werden kann. Das Tool erfasst das Tierwohl anhand einer Kombination aus tierbezogenen Indikatoren, Indikatoren der Haltungsumwelt und darüber hinaus Kennwerten der Milchleistungsprüfung. Damit bietet das Tool eine gute Möglichkeit zur betrieblichen Eigenkontrolle, die objektiv nachvollziehbar ist und dokumentiert werden kann. Die erkannten Schwachstellen können außerdem als Ausgangspunkt für eine Beratung zur Verbesserung der Tierwohlsituation genutzt werden.
Hauptverantwortlich für das Projekt ist das Ingenieurbüro für Ökologie und Landwirtschaft (IfÖL GmbH), Mitglieder Operationellen Gruppe (OG) sind:
Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH), Hessischer Verband für Leistungs- und Qualitätsprüfungen in der Tierzucht e.V. (HVL), AG für Rationalisierung, Landtechnik und Bauwesen in der Landwirtschaft Hessen (ALB) und fünf Praxisbetriebe. Als assoziierte Partner sind das hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) und Landkreis Limburg- Weilburg, Amt für ländlichen Raum, Fachdienst Veterinärwesen und Verbraucherschutz, in das Projekt eingebunden.
Testbetriebe gesucht
Das „Tierwohl-Tool Milchvieh“, eine Excel-Anwendung, die im Projektverlauf zu einer App weiterentwickelt wird, soll auf 40 hessischen Milchviehbetrieben in der Praxis getestet werden. Mit Hilfe der Anwendung können wichtige Tierschutzindikatoren beim Rundgang durch die Herde erfasst werden. In Kombination mit Angaben zur Haltungsumgebung und den Ergebnissen der Milchleistungsprüfung kann die Tierwohlsituation der Milchviehherde transparent und nachvollziehbar eingeschätzt werden. Somit wird repräsentativ die aktuelle Tierwohl-Situation hessischer Milchviehbetriebe erfasst und bewertet. Hierfür werden interessierte Testbetriebe gesucht. Erfasst werden auf Ihrem Betrieb mit Ihnen zusammen verschiedene Indikatoren zum Tierwohl der laktierenden Milchkühe aus den Bereichen:
- Haltung & Management
- Platzangebot
- Weide & Auslauf
- Wasserversorgung
- Enthornung
- Tierbeurteilung
- Körperkondition
- Sauberkeit
- Integumentschäden
- Lahmheiten
- Euter- und Stoffwechselgesundheit
- Milchleistung
- Zellzahlen
- Fett-Eiweiß-Quotient
Die Daten werden weder an Dritte noch an Behörden weitergegeben.
Was ist der Nutzen für den Betriebsleiter?
Teilnehmende Betriebe erhalten einen detaillierten Einblick in die Tierwohlsituation im Betrieb und eine Einordnung im Vergleich zu den fachlichen Richtwerten. Die betriebsspezifischen Ergebnisse können genutzt werden, um gezielt das Tierwohl zu optimieren. Sie lernen das „Tierwohl Tool Milchvieh“ kennen und können dies auch in Zukunft zur betrieblichen Eigenkontrolle
nutzen.
Welcher Aufwand ist mit einem Betriebsbesuch verbunden?
- Einmaliger Betriebsbesuch im Frühjahr/Frühsommer 2021
- Je nach Herdengröße etwa drei Stunden für die Datenerfassung im Stall
- Datenbereitstellung von verschiedenen Angaben zur Haltungsumgebung (Laufflächengröße, Liegeflächengröße, Anzahl der Fressplätze und Liegeplätze)
- Bereitstellung von Daten der MLP des HVL Hessen.
Bei Interesse bitte melden bei:
Sylke Ordemann vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen
0561/7299-321
oder bei