Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen

Schafe & Ziegen

Mit Lammfleisch aus regionaler Erzeugung die Wertschöpfung vor Ort stärken

Betrachtet man die deutsche Nutzierhaltung, genießt die Schafhaltung einen vergleichbar positiven Ruf. Mit ihr verbinden viele Weidehaltung und eine extensive, naturnahe Tierhaltung.

Allerdings hat das Hauptprodukt der Schafhaltung, das Lammfleisch – verglichen mit anderen Fleischsorten – ein Imageproblem. Das könnte daran liegen, dass der Produktname daran erinnert, dass es sich um Fleisch von Jungtieren handelt. Das ist bei anderen Nutztierarten natürlich auch so, aber der Hinweis im Produktnamen bleibt aus: Wir reden selten vom Kalbsfleisch und so gut wie nie von Ferkelfleisch (Ausnahme Spanferkel).

Dabei ist es ganz normal, dass im Schäfereibetrieb Dank der Fürsorge der Halterinnen und Halter mehr Jungtiere aufwachsen, als für die Erhaltung der Herdengröße nach dem Abgang der Alttiere gebraucht werden.

Wie läuft’s in der Natur?

In freier Wildbahn müssen Schafe vor großen Beutegreifern (Luchs, Wolf, Bär, Vielfraß, Adler etc.) auf der Hut sein. Viele Schafe tragen zwar Hörner, aber die Abwehrmöglichkeiten der Schafe gegen Raubtiere sind begrenzt. So fallen Schafe – und vor allem Lämmer – in der Natur häufig ihren Angreifern zum Opfer. Die Natur hat Fluchttiere wie Schafe deshalb mit einer hohen Vermehrungsrate bzw. Fruchtbarkeit ausgestattet, um Bestandsverluste wieder ausgleichen zu können.

Wildschafe können pro Jahr ein bis zwei, selten drei Lämmer gebären. So ist es auch bei unseren heutigen Nutztieren, den Hausschafen. Für viele Landschafrassen und Herden gilt ein durchschnittliches Ablamm-Ergebnis von ca. 1,5 Lämmern pro Mutter pro Jahr.

Und was machen die Schäfereien?

Theoretisch würde also ein Schafhalter bzw. eine Schafhalterin, wenn alle Mutterschafe und alle Lämmer immer überleben und im Betrieb verbleiben, ihren Schafbestand in zwei Jahren verdoppeln oder gar verdreifachen.

Durch die Fürsorge ist die Sterblichkeitsrate in der Schäferei viel geringer als in der Natur. Die zur Verfügung stehenden Futterressourcen und Arbeitskapazitäten sind jedoch in der Regel begrenzt. Der Schäfereibetrieb muss also immer wieder Tiere abgeben, um eine gleichmäßige Bestandsgröße zu halten, die zu den Futterflächen passt. Die Schäferin bzw. der Schäfer selektiert deshalb – ähnlich wie in der Natur – die besten Nachkommen für die Erzeugung der nächsten Generation und erzielt mit den überschüssigen Tieren durch Verkauf und/oder Schlachtung ein Einkommen.

Natürliche Selektion durch Zuchtauswahl nachgeahmt

Wenn wir davon ausgehen, dass etwa die Hälfte der Lämmer männlich ist, dann hat ein schafhaltender Betrieb mit 100 Mutterschafen nach zwei Jahren etwa 50 neue junge Mutterschafe und etwa 50 junge, nahezu ausgewachsene Böcke, die ein natürliches Dominanzgehabe vollführen und in Rangkämpfe verfallen würden. In der Natur würden die im Kampf mit den Nebenbuhlern unterlegenen Böcke verenden oder die Herde verlassen. Sie schließen sich dann zu Junggesellengruppen zusammen oder versuchen es allein, fallen jedoch auch häufig ihren natürlichen Feinden zum Opfer. Diese Situation beschreibt einen Teil der natürlichen Selektion. Durch sie wird gewährleistet, dass sich nur die stärksten, robustesten Böcke in der Herde fortpflanzen können und so ihre genetischen Vorteile an viele Nachkommen weitergeben können.

Naturnahes Fruchtbarkeitsgeschehen und naturnahe Aufzucht

Künstliche Besamung, das Standard-Befruchtungsverfahren in der Rinder- und Schweinehaltung, hat in der Schafhaltung in Deutschland keine Bedeutung. Der Schafbock deckt die Mutterschafe seiner Herde selbst im sogenannten „Natursprung“ und die Mutterschafe lassen sich (freiwillig) decken. (Sie könnten auch einfach weglaufen.) Die Lämmer bleiben in der Regel nach der Geburt mehrere Wochen oder Monate bei ihrer Mutter und werden von ihr gesäugt, bis sie sich selbstständig und allein ernähren können.

Grundsätzlich brauchen Schafhaltende, die ihre Mutterschafe decken lassen möchten, einen Schafbock für 30 bis 80 Mutterschafe. (In Wildschafherden sieht das ähnlich aus.)

Hier wird deutlich, wie gering der Bedarf an ausgewachsenen Schafböcken im Vergleich zur Mutterschafzahl ist, bzw. wie scharf die Natur unter den männlichen Nachkommen die besten ausselektiert. Auch bei den weiblichen Lämmern in menschlicher Obhut werden für den Fortbestand nicht alle Lämmer für die sogenannte Remontierung (Bestandsergänzung) benötigt, sodass auch ein Großteil der weiblichen Lämmer, bis auf die 20 bis 25 Prozent der besten, den Bestand in der Regel innerhalb des ersten Lebensjahres verlassen.

Mutterschafe unserer Hausschafrassen werden unter gängigen Haltungsbedingungen im Schnitt ca. fünf bis sieben Jahre alt, manche auch mehr als zehn Jahre. Sie bringen in dieser Zeit ca. sieben bis zehn oder mehr Lämmer zur Welt.

Mal kurz überschlagen …

Wenn alle Lämmer immer am Leben bleiben würden, so müsste ein Mutterschaf im Durchschnitt nur alle fünf Jahre ein weibliches Lamm zur Welt bringen, damit der Verlust durch sterbende Altschafe ausgeglichen würde und langfristig der Schafbestand stabil bleiben könnte (Böcke nicht berücksichtigt).

Wenn wir davon ausgehen, dass der Bedarf an Schafen insgesamt gleichbleibt bzw. gleichbleiben muss, da sich die Futterfläche nicht beliebig vergrößern lässt, so stellt das Schlachten der überzähligen Lämmer eine sinnvolle Verwendung diese Lebewesen dar. (In der freien Natur würde diese zu Grunde gehen oder ihren natürlichen Feinden zum Opfer fallen.)

Bedeutung der Schafhaltung für die Gesellschaft

Ein Verzicht auf die Schafhaltung würde ein bereits siebentausend Jahre währendes kulturhistorisches Erbe zerstören. Eine unschätzbare Sammlung an Erfahrungen im Umgang mit der Natur, mit Schafen und Hütehunden würde verloren gehen. Die vielen Rassen mit ihren über Jahrhunderte ausselektierten Eigenschaften würden verschwinden bzw. sich unkontrolliert vermischen.

Schafherden sind unverzichtbar für das Schaffen und Erhalten artenreicher und ökologisch wertvoller Offenlandbiotope – Hotspots der Biodiversität. Schon jetzt sind in vielen Regionen zu wenig Schafherden vorhanden, um die Erhaltung von noch vorhandenen Huteflächen und Magerrasen gewährleisten zu können.

Weitere wichtige Aufgaben übernehmen Schäfereien z.B. bei der Pflege und Erhaltung der Küsten- und Binnendeiche, der Pflege von Deponieabdeckungen und zur Kontrolle des Pflanzenaufwuchses in Solarparks.

Naturnahe landwirtschaftliche Produktion

Lammfleisch wird extensiv erzeugt, d. h. mit geringem Einsatz an Produktionsmitteln relativ naturnah. Schafe haben an den meisten Tagen des Jahres Weidegang. Der Kraftfuttereinsatz und der Einsatz an Futterzusatzstoffen und Medikamenten ist in der Schafhaltung vergleichbar gering. Das Fleisch ist mager und cholesterinarm.

Da die Weideflächen der Schafe in der Regel aus Grünlandflächen und Naturschutzflächen bestehen, die für andere landwirtschaftliche Nutzungsformen wie Ackerbau nicht geeignet sind, steht die Lammfleischproduktion grundsätzlich nicht in Konkurrenz zur menschlichen Nahrungsmittelproduktion pflanzlicher Herkunft. Schafe wandeln vielmehr für Menschen nicht nutzbare pflanzliche Biomasse in hochwertige Nahrungsmittel um. Sie tragen damit weltweit zur einer klima- und ressourcenschonenden Ernährung bei.

Wer also Lammfleisch aus regionaler Erzeugung kauft, erhält ein hochwertiges, naturnah erzeugtes gesundes Nahrungsmittel tierischer Herkunft, unterstützt die Landschaftspflege und eine traditionelle Form der Tierhaltung.

Mit einer verstärkten Nachfrage und Nutzung von Schafwollprodukten kann die Bevölkerung ebenfalls einen positiven Effekt auf die Entwicklung der Schafhaltung ausüben und wirkt nebenbei der Verwendung von Kunstfasern und der Verbreitung von Mikroplastik in der Umwelt entgegen. Im Gegensatz zur Produktion von anderen Naturfasern wie Baumwolle oder Flachs werden für die Schafwollproduktion keine zusätzlichen ackerfähigen Flächen benötigt.

Populationsentwicklung in der Schafhaltung grafisch dargestellt

Im Folgenden wird schematisiert die Populationsentwicklung einer kleinen Schafherde von zehn Mutterschafen und einem Bock grafisch dargestellt, für den Fall, dass der Schafhalter keine Tiere entnehmen würde, lediglich die verendeten Tiere verlassen den Bestand. Unterstellt wird eine Fruchtbarkeitsrate von einem geborenen Lamm pro Mutterschaf und Jahr. Die weiblichen Tiere sind im beschriebenen Beispiel erst im zweiten Lebensjahr geschlechtsreif. Für die natürlichen Abgänge wurden durchschnittliche praxisnahe Abgangsraten unterstellt.

Nach zehn Jahren hat sich der Bestand der kleinen Demo-Herde verzehnfacht, würde also auch eine etwa zehnmal so große Futterfläche benötigen, wie die Ursprungsherde.

Da die Gesamtfutterfläche, die unseren einheimischen Schafbeständen zur Verfügung steht, nicht ohne Weiteres vermehrbar ist, sondern eher kleiner wird, darf sich auch der Bestand an gehaltenen Schafen nicht stark vergrößern, weil die natürliche Futtergrundlage dafür fehlen würde.


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